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Medien: Leser gesucht

Die Zeitungsverleger wissen genau, was ihnen fehlt. Sie wissen nur nicht, welche Heilmethode hilft

Es tut sich was. Seit drei Jahren kränkeln die Zeitungsverlage vor sich hin. Die einzige Lösung, die vielen von ihnen einzufallen schien, um das Problem des Anzeigeneinbruchs zu meistern, war der Stellenabbau. Dann spielten sie Mikado, als lautete die wichtigste Regel, dass derjenige verliert, der sich zuerst bewegt. Immerhin betrieben einige Verlage auch Ursachenforschung. Mittlerweile kennen sie ihre Probleme; sie wissen nur noch nicht, ob und wie sie aus der Welt zu schaffen sind.

Problem Nummer eins ist die Frage, wie das neue Geschäftsmodell für Zeitungen aussehen soll. Bisher war es so, dass zwei Drittel der Erlöse aus dem Anzeigengeschäft kamen und ein Drittel aus dem Verkauf. Insbesondere die Rubrikenanzeigen (Auto, Immobilien) drohen ins Internet abzuwandern. Das Verhältnis verschiebt sich zugunsten der Vertriebserlöse. Im Westen der Republik werden laut Volker Schulze, Geschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger, nur noch 55 Prozent durch Anzeigen, aber 45 durch den Verkauf eingenommen. Im Osten hängen die Zeitungen mangels Anzeigenkunden noch sehr viel mehr von Vertriebserlösen ab. Um das Einnahmeniveau zu halten, müssten Zeitungen also deutlich teurer werden.

Hier kommt Problem Nummer zwei ins Spiel: Die Auflagen sinken mittlerweile nämlich auch. „Das bedeutet nicht, dass die Leute nicht mehr lesen wollen, aber die Bereitschaft, dafür etwas zu zahlen, sinkt“, sagt Schulze. Wer sich früher zum Beispiel vier Mal in der Woche eine Zeitung gekauft hat, kauft sie jetzt nur noch drei Mal. Und wenn das Monatsende naht und der Kontostand gegen null tendiert, bleibt der Gang zum Kiosk vielleicht sogar ganz aus. „Bild am Sonntag“-Chefredakteur Claus Strunz hat in sozial schwächeren Regionen, insbesondere in Ostdeutschland, erste Anzeichen festgestellt, dass der vierte Sonntag im Monat der schwächere ist. Manche sparen sich dann also sogar die 1 Euro 30 für eine „BamS“.

Problem Nummer drei: Den Zeitungen sterben die Leser weg, es wachsen nicht genügend junge nach, von denen sich dann auch noch ein Großteil nicht ans Zeitungslesen gewöhnt, sondern sich über das Internet oder Fernsehen informiert. Was tun, wenn nach den Anzeigenerlösen also auch die Vertriebseinnahmen schrumpfen?

Lösung Nummer eins: Die Zeitungen werden teurer. Damit stoßen die Verlage schnell an Grenzen. Auch wenn die Abozeitung weniger als ein Cappuccino kostet und die Boulevardzeitung gerade mal so viel wie ein Anruf bei „Deutschland sucht den Superstar“, wie es Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner gern formuliert: Angesichts der Preissensibilität der Leser besteht die Gefahr, dass die Zeitung zum Luxusgut wird. Journalistik-Professor Michael Haller zeichnet folgendes Zukunftsszenario: Zeitungen, in einer Demokratie Medium der Selbstaufklärung, würden nur noch von einkommensstarken Bildungseliten gelesen, die Auflage einer „FAZ“ würde halbiert, ihr Verkaufspreis verdrei- oder vervierfacht.

Lösung Nummer zwei: Die Verlage schaffen einen neuen Typus von Zeitung – einen, der sich an junge Leser wendet und weniger als eine normale Zeitung kostet. „Junge Leser wollen andere Zeitungstypen, lehnen die printmediale Bevormundung ab, wollen sich ihre Meinung selbst bilden, haben andere Bedürfnisse und eine andere Sicht der Dinge“, sagt Michael Grabner, Manager der Verlagsgruppe Holtzbrinck, in der auch der Tagesspiegel erscheint. In Würzburg brachte der Verlag „Boulevard Würzburg“ heraus, ein kleinformatiges Blatt, das jeden Donnerstag für 50 Cent erscheint und laut Redaktionsleiter Peter Krones die „Lücke zwischen monatlichem Stadtmagazin und Tageszeitung“ schließt. Ein anderes Konzept verfolgt Holtzbrinck mit „20 Cent“, das seit anderthalb Wochen in der besonders strukturschwachen Lausitz erscheint. Beide Blätter verfolgen das Konzept einer „regionalen, schnell zu lesenden Zeitung mit vielen Internet-Elementen, die den Bedürfnissen junger Leser entspricht“, sagt Grabner. Das Ziel ist, drei bis fünf Prozent Marktanteil zu erreichen und junge Nicht- Leser an die Marke Tageszeitung zu gewöhnen. „Wenn sie sich an ein tägliches Produkt gewöhnt haben, sind sie später auch leichter für die ,Lausitzer Rundschau’ zu gewinnen“, glaubt Chefredakteur Peter Stefan Herbst, der zudem festgestellt hat, dass dadurch auch neue Anzeigenkunden generiert werden, die „die Anzeigenpreise der regionalen Tageszeitung meist als zu teuer empfinden“. Herbst nennt als Beispiele Diskotheken oder Fitness-Studios.

Schließlich startet Springer am kommenden Montag werktäglich das 32-seitige „Welt Kompakt“. Ziel ist ein qualitativ hochwertiges Tabloid mit Inhalten aus dem Angebot der „Welt“, aber eigenständigem Konzept und Layout. Ursprünglich stammt die Idee aus England, vom „Independent“, der im Herbst damit begann, parallel zum großen Format auch als Tabloid für die pendelnden Bahnfahrer zu erscheinen. Das kam an, die Auflage stieg, vor allem Frauen griffen zu, und seit diesem Montag erscheint der „Independent“ nur noch als Tabloid. „Welt Kompakt“ geht einen anderen Weg – einerseits, um der „Welt“ mit „Welt Kompakt“ keine Leser wegzunehmen und andererseits, weil deutsche Leser nach Auffassung von Chefredakteur Jan- Eric Peters höhere ästhetische Anforderungen an Zeitungen stellen. Bei Erfolg soll „Welt Kompakt“ bundesweit erscheinen.

In einem Punkt sind alle drei neu gegründeten Zeitungen gleich: Sie wollen mit seriösen, aber jungen, mit knappen und nachrichtlichen Inhalten Nicht-Leser zu Lesern machen. Im Erfolgsfall kommen die Leser über diese Einstiegsdroge zur Tageszeitung. Es kann aber auch sein, dass sich in der Zeitungslandschaft ein Trend bildet, der sich bei den Zeitschriften längst durchgesetzt hat: Es könnten immer mehr Zeitungstypen mit kleinen Auflagen entstehen, die sich an ganz bestimmte Leser richten. Schon jetzt, glaubt Grabner, sei es ein „Irrglaube, dass man mit den bestehenden Zeitungen die gesamte Altersspanne der Leser, von jung bis alt, abdecken kann.“

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