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Der Leichenwagen ist gestohlen, Freund Horst (Heiner Lauterbach, links) ist todkrank. Johann (Friedrich von Thun) wird melancholisch.

© ARD Degeto/Frank Dicks

"Letzte Ausfahrt Sauerland": Sarg bloß

Heiner Lauterbach und Friedrich von Thun unterwegs im gestohlenen Leichenwagen: Der ARD-Film „Letzte Ausfahrt Sauerland“ ist eine grimmig-komische Reise in den Tod

Das sollen sie sein? Unter der Schiebermütze und hinter dem weißen Stoppelbart des verlotterten Dauerrentners Horst steckt der Schauspieler Heiner Lauterbach, der elegante Managerdarsteller, der in der Kreditvergleichswerbung im Fernsehen den Banken die Hosen auszieht. Und erst der vollverschratete Penner Johann mit Wollmütze und versoffener Fresse, dessen verquollenes Dauerschmunzeln man für beginnende Demenz halten könnte: Den spielt Friedrich von Thun, der österreichische Graf, ohne dessen Auftritte als teddybäriger Charmeur so manche Fernseh-Lady von einst hätte vertrocknen müssen.

Seit die Alten im Fernsehen wieder flottgemacht werden (wie vor Kurzem in „Zwei allein“) und keine Happy-End-Verpflichtung auferlegt wird, ereignet sich im Degeto-Fernsehen so etwas wie diese wunderbar leichte und präzise Tragikomödie „Letzte Ausfahrt Sauerland“ (Regie: Nikolai Müllerschön, Buch: Markus B. Altmeyer, Mathias Lösel): jenseits vom Jugendwahn den Dialog zwischen den Generationen zu beginnen. Hier werden zwei gestandene Mimen in eine moderne originelle Filmwelt überführt – und weg ist alles Kukident.

Der Enkel versteht die Sprache der Alten

Bärbeißige Altensonderlinge verständigen sich mühelos in der Sprache des Enkels (Emillo Moutaoukkil), der Enkel versteht die Sprache der Alten. Kein Gedöns auf beiden Seiten. Nur die ironische Schlagfertigkeit, die Verachtung des Spießertums zählen. Enkel? Ja, auch wenn man es nicht für möglich hält: Der von Lauterbach gespielte Horst, dieser scheinbare Menschenfeind, der mit seinem Freund an einem sauerländischen See einen verlotterten Bootsverleih betreibt und auf störende Fahrradfahrer die Flinte anlegt, war einmal verheiratet, hatte ein Kind und verlor seine Frau bei einem Unfall, von dem er glaubt, er habe ihn verursacht. Er schob seine Tochter Lisa (Annika Kuhl) zur Betreuung zu den Großeltern ab, ohne ihr seine innere Verzweiflung zu erklären. Diese vaterenttäuschte Lisa war kurz und heimlich mit einem Türken verheiratet, der dann Horsts Tochter mit dem Enkel Elyas sitzenließ.

Opa Horst fühlte sich als Versager, der Kontakt zu der in Frankfurt lebenden Tochter und dem Enkel beschränkte sich auf eine jährliche Geburtstagskarte und eine kleine Spende für das Grab der Mutter von seinen Nachfahren. Aber diesmal, am 66. Geburtstag des Alten, ist alles anders. Keine Karte, keine Spende, nur der obligate Geburtstagskuchen seines Kumpels Johann.

Etwas stimmt nicht. Der Eremit vom See telefoniert zum ersten Mal in seinem Leben mit seinem Enkel, der ihn mit der Lüge, die Tochter läge im Krankenhaus und er müsse, wenn er Informationen wolle, schon selbst ins Krankenhaus der Tochter kommen, nach Frankfurt lockt. Horst hasst Krankenhäuser, sie röchen nach Tod, aber er lässt sich fluchend zu einem Besuch überreden.

Es stellt sich heraus: Die Tochter hat gar nichts, aber Horst hat etwas, einen schlimmen Husten. Er wird zu einer Untersuchung gezwungen, die aus Fürsorge gestellte Falle schnappt zu: Der alte Mann hat Lungenkrebs im Endstadium. Wo andere von Verzweiflung übermannt würden, wehrt sich der Kerl mit der Schiebermütze und geht mit dem herbeigerufenen Kumpel Johann und seinem Enkel auf die letzte Reise. Sie wird als Trip in den Tod enden, aber so heiter, fantasievoll und weltweise, wie dieses Todestrio zum Sterben eines seiner Mitglieder ins Sauerland fährt, sah man schon lange kein tragikomisches Treiben im Fernsehen.

Im Leichenwagen geht es Richtung Tod

Allein das Gefährt. Ein geklauter Leichenwagen. Mit Sarg auf der Ladefläche. Es dauert, bis sich Horst vergewissert, ob er belegt ist. Ist er nicht. Eine kleine Figur hängt unter dem Rückspiegel. Keine Hexe, sondern der Tod als Kleinplastik mit Kapuze und Sense, die Horst beharrlich Sichel nennt.

Der Wagen wird aufgehübscht, Ziel der Maßnahme ist die Verwandlung in ein Cabriolet: Der Sarg und seine drei Begleiter sollen es luftig haben. Sarg bloß, möchte man kalauern. Das sind herrliche Bilder vom Aberwitz, die uns die Kamera von Klaus Merkel zeigt: die erhöht dahingleitende Totenlade, der Todgeweihte mit der Schiebermütze und seine beiden Schutzengel am Steuer davor.

An Feuerstellen im Wald muss der Enkel lernen, seinen vegetarischen Widerstand gegen Fleisch mannhaft zu behaupten. Dem ersten Joint und dem ersten Bier kann er nicht entgehen. Die Szenen, die Horsts und Johanns seelische Abschiedsarbeit zeigen, sind angenehm unsentimental.

Mit versteckten Tränen und unnachahmlicher Zärtlichkeit spiegelt Begleiter Johann das eigentliche Wunder dieses Films: die Aussöhnung eines gescheiterten Vaters mit seinen Nachfahren. Der Tod kommt so leise und ohne sentimentalen Pomp, wie es sich für den Geist dieses Films gehört.

„Letzte Ausfahrt Sauerland“, ARD, um 20 Uhr 15

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