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Medien: „Man war nie allein“

Fritz Pleitgen über Überwachung und Journalismus

Herr Pleitgen, wie haben Sie als Korrespondent in der DDR die Stasi erlebt?

Die Stasi war unsere ständige Begleiterin. Ob dienstlich oder privat, man war nie allein. Überall standen Leute herum, die sich besonders unauffällig gaben. Sie haben uns abgehört, fotografiert, unsere Post geöffnet. Sie sind in meine Wohnung eingebrochen und haben nicht mal die Spuren verwischt, damit wir merken, dass sie sich alles leisten konnten.

Und da haben Sie keine Angst bekommen?

Heldenmut mussten wir Westkorrespondenten nicht beweisen. Wir konnten ja jederzeit ausreisen. Die ständige Beobachtung hat uns aber noch kritischer gemacht. Wenn wir den Eindruck vermittelt hätten, die Stasi habe uns im Griff, dann hätten wir das Vertrauen der Menschen in der DDR verloren.

Waren Sie einmal ein Opfer von Desinformationen?

Nicht, dass ich wüsste. Es gab einen Grenzfall, da war ein Mitarbeiter von Ministerpräsident Willi Stoph verschwunden. Es gab Gerüchte, dass er verhaftet worden sei. Als ich zu seiner Wohnung fuhr, lief er uns wie zufällig über den Weg. Das kam uns sehr merkwürdig vor.

Haben Sie das Bild trotzdem gesendet?

Ja, er war ja eine Information. Aber in Absprache mit mir hat die „Tagesschau“ eine passende Einordnung gebracht.

Was ist der Wert der ARD-Studie über den Einfluss der Staatssicherheit?

Ihre umfassende Darstellung. Sie ist ein wertvoller Beitrag zur Zeitgeschichte. Die Studie deckt die Strategien und Aktivitäten der Stasi gegen den Rundfunk auf, sie erzählt Geschichten, nennt Spitzel und Inoffizielle Mitarbeiter; sie zeigt den gigantischen Aufwand der Stasi und das vergleichsweise schwache Resultat.

Warum veröffentlichen Sie die Studie dann nicht ganz?

Wir wollten alles veröffentlichen. Aber nach dem Kohl-Urteil müssen wir mit Namen zurückhaltend umgehen; nicht bei Inoffiziellen Mitarbeitern, aber bei anderen, von denen es viele in der Studie gibt: Opfer, Beteiligte. Wir brauchen überall Einwilligungen. Das ist erst in Monaten zu schaffen. Wir wollen es schaffen.

Und das ZDF?

Das ZDF hat leider nicht mitgemacht, obwohl wir es mehrfach angeboten haben. Deutschlandradio und Deutsche Welle waren hingegen sofort bereit. Die Mainzer wollten wohl, schlau wie sie sind, kein Risiko eingehen.

Haben Sie auch in der ARD Widerstand gegen das Projekt gespürt?

Der Enthusiasmus hielt sich in Grenzen. Die Verlage sollten nun unserem Beispiel folgen, denn auch Zeitungen, Magazine und Zeitschriften waren das Objekt der Stasi-Begierde. Mich macht betroffen, dass ein so netter Kerl wie Moskau-Korrespondent Uwe Engelbrecht für die Stasi gespitzelt hat. Willy Brandt, den er sehr verehrte, hätte diese dunkle Nebentätigkeit sicher nicht gefallen.

Wird es personelle Konsequenzen in der ARD geben?

Das wird jeder Sender selbst entscheiden. Aber da gibt es nicht mehr viel zu tun. Die meisten Fälle sind bereits geklärt. Im WDR gab es keinen Inoffiziellen Mitarbeiter, allerdings hier und da eine gewisse Leichtgläubigkeit bei der Abnahme von Beiträgen freier Mitarbeiter.

Herr Pleitgen, was haben Sie über Ihren Beruf gelernt, als Sie die Studie über Stasi und Journalismus gelesen haben?

Mir ist durch die Lektüre noch einmal bewusst geworden, in welch außergewöhnlicher Zeit wir damals gearbeitet haben. Wir haben die Stasi ständig erlebt, aber ihren Aufwand stark unterschätzt. Wenn ich meinen Kindern von Verfolgungsjagden mit Stasi-Autos, von Männern mit Taschenknirpsen und von Wanzen in der Wohnung erzähle, halten sie das für Geschichten aus einer bizarren Unterwelt.

Das Gespräch führte Robert Ide.

Fritz Pleitgen, 66,

kam 1963 zum WDR. Seit 1995 leitet er den Sender als Intendant. In den Jahren 2001 und 2002 war Pleitgen zudem Vorsitzender der ARD.

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