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Medien: Mensch, Merkel, Sensation

Großer Zirkus: Jauchs Jahresrückblick bei RTL

Rhythmisch und klanglich ist der Titel des RTL-Rückblicks dem klassischen „Menschen, Tiere, Sensationen“ nachgebildet – also bloß eine Art Zirkus, das ablaufende Jahr? Solange es läuft, ist es ja bloß traurig, toll oder beschwerlich, aber wenn es zu Ende geht, darf man es feiern und inszenieren. Als Konzept okay. In der Mitte der Mammutsendung (dreieinviertel Stunden), gab es immerhin einen echten Zusammenschnitt der politischen und meteorologischen Großereignisse, von der EU-Osterweiterung bis zu den Tornados in Amerika und der Heuschreckenplage auf den Kanaren. Davor und danach hatte Zirkusdirektor Günther Jauch die Hände und die Manege frei für eine Revue klassischer und bizarrer Nummern.

Klar musste der Lebensretter auf die Bühne, der ein kleines Mädchen vorm sicheren Tod auf der Straßenbahnschiene bewahrt hat. Und der blinde Junge von sieben Jahren, der Telefonnummern am Ton erkennt. Auch der Sport kriegte seinen Platz, Ralf Schumacher hier und Michael Schumacher da. „Wir haben Bammel gehabt, ob wir das Niveau halten können.“ Niederlagen müssen eingestanden werden. So hat Franzi van Almsick ihr „Wassergefühl verloren“ und der deutsche Fußball nur mehr eine vage Zukunftshoffnung. Schließlich muss das Fernsehen sich auch selbst nach vorne spielen. Hape Kerkeling wurde vierzig und Udo Jürgens nicht jünger. Dann war da noch Angela Merkel, die gewissen Gerüchten entgegentrat: „Ich bin ein heiterer Mensch.“

Ohne Jauch, der keinen Zylinder und keine Peitsche braucht und sich im televisionären Zeitalter mit schrägem Blick und spitzbübischem Grinsen behauptet, wäre das Unternehmen an seiner Breite und Opulenz erstickt. Aber Direktor Jauch hält die Vorstellung zusammen, er stemmt sie scheinbar anstrengungslos. Wie macht er das? Dem Geheimnis seines Erfolges kommt man am ehesten durch die Negation auf die Spur. Bei Jauch wirkt es nicht marktschreierisch, wenn er die Stimme hebt, um einen Gast anzukündigen. Es wirkt nicht peinlich, wenn er, wie jeder Moderator vom Dienst, ein Interesse am Schicksal seiner Interviewpartner vorschützt (das er eben nicht heuchelt, sondern einfach gut spielt). Er verspricht sich nie. Er posiert nie. Er echauffiert sich auch nie, nicht mal um einer Pointe willen, die er nicht herbeizwingt, sondern nicht verhindert. Sein Grienen lässt eine Unregelmäßigkeit der Zahnstellung erkennen, die wie eine Zahnücke aussieht, weswegen er auch noch den Bonus eines Erstklässlers abgreift. Er bemüht sich, tapfer auszuschreiten, stolpert aber manchmal über den großen Onkel. Er kann Udo Jürgens fragen: „Wie verwundert schauen Sie auf ihr eigenes Leben?“ und den beinamputierten Paralympics-Sieger Woitek Czyz an seine Operation mit dem Satz erinnern: „War es der schrecklichste Tag in ihrem Leben?“, ohne dass man zusammenzuckt. Wenn er das sagt, klingt es normal. Ja, das ist es: Weil Jauch all die fürchterlichen Fehler, auf die Starmoderatoren abonniert sind, nicht macht, ist er so gut. Eigentlich macht er gar nichts. Aber das täuscht. Peitsche und Zylinder hat er zu seiner speziellen Jauchschen Kompetenz umgeschmolzen und um deretwillen müssen wir ihn loben.

Es gab misslungene Momente. Man hat zum Beispiel versucht, jeweils zwei Gäste, die nichts miteinander zu tun hatten, simultan abzufertigen. So musste Hape Kerkeling die Bühne mit Deutschlands ältester Abiturientin (66) teilen, woraus kein zusätzlicher Spaßfaktor erwuchs, eher im Gegenteil. Aber das sind Kleinigkeiten. Die Vorstellung hat geklappt. Mit dem Jahr 2004 hatten die Menschen, Bilder und Emotionen oft eher zufällig oder beiläufig zu tun, aber das nimmt der Zirkusbesucher in Kauf. Zumal Schumi verkündete, dass „unser Leben dem Schicksal entsprechend eingeplant“ sei, egal, welches Jahr wir schreiben.

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