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Große Geste. Caren Miosga steigt auf den Moderatorentisch und erinnert an eine besondere Filmszene mit Robin Williams.

© Tsp

Update

Neue Deutsche Volksbewegung: Auf die Tische, zur Freiheit!

Standing Ovation: Caren Miosga würdigt Robin Williams in den „Tagesthemen“. Und bahnt dem Liberalismus eine Gasse

Da droht jetzt eine Neue Deutsche Volksbewegung. Bundesbürger streifen ihre Schuhe ab, klettern auf Tische und fordern Anwesende auf, frei zu denken, sich frei zu äußern, sich als Mensch frei zu fühlen. Der Liberalismus war in Deutschland schon totgesagt, spätestens seitdem die Freie Demokratische Partei aus dem Bundestag geflogen ist. Jetzt steht er wieder auf.

Caren Miosga hat es am Dienstag in den „Tagesthemen“ vor 2,64 Millionen Zuschauern vorgemacht. Die 45-jährige Journalistin stieg auf den Studiotisch und stand barfuss in luftiger Höhe. Mit dieser Geste würdigte Miosga den Schauspieler Robin Williams, der am Montag in seinem Haus nahe San Francisco tot aufgefunden worden war. Williams spielte in dem Film „Der Club der toten Dichter“ 1989 den Lehrer John Keating. Um seine Schüler zum freien Denken zu animieren, steigt Keating kurzerhand auf den Tisch und rezitiert Walt Whitmans Gedicht „O Captain! My Captain“. In einer weiteren Szene am Ende des Films folgen die Schüler dem Beispiel ihres Lehrers – sie stehen alle auf den Tischen. Sie tun es auch als Hommage an Keating, der von einem Beckmesser abgelöst wird, der kraftvolle Gedichte mit Gebrauchsanleitungen verwechselt.

Der Geist fliegt, jedenfalls hängt er nicht mehr in den Schulbänken fest. Die inspirierende Kraft von John Keating hat gesiegt. Unkonventionelles Verhalten ist möglich, Rebellion ist möglich, dito die Freiheit des Einzelnen. Du musst Dich trauen dürfen, die Aufforderung ist nicht implizit, sie ist explizit.

Miosgas Zitatgeste fand sogleich Nachahmer. Unter dem Hashtag #aufdietische sammeln sich immer mehr Bilder von Menschen, die ihre Füße auf Tischplatten fotografiert haben. Eine direkte Anerkennung für Miosga und eine indirekte Würdigung für den toten Schauspieler, der sich auch und vor allem als Vordenker im „Club der toten Dichter“ unsterblich gemacht hat. Die Trauer über diesen durch Selbsttötung aus dem Leben geschiedenen Künstler verwandelt sich in eine mitfühlende Reaktion.

Und Caren Miosga? Darf die seriöse Moderatorin der seriösen „Tagesthemen“ derart aus der Rolle fallen? Sie hat sich, nach Proben für Licht und Kamera, im Rahmen des Nachrichtenjournals selber zur Nachricht gemacht, sie hat ihre Kernaufgabe der Informationsvermittlung vergessen, indem sie, was sonst in Wort und Bild transportiert wird, mit eigener Darstellung visualisiert hat. Caren Miosga als Robin Williams als John Keating als freier Geist – mehr Expressivität, mehr Freiheit war in den „Tagesthemen“ noch selten gesehen.

Christian Nitsche, zweiter Chefredakteur ARD-aktuell, sagte dem Tagesspiegel: „Die ganze Redaktion stand hinter der Idee, die Umsetzung war eine Teamleistung, bei der alle mitgeholfen haben, vom Beleuchter, Regisseur bis hin zu Caren Miosga. Sie hat die Idee sehr charmant umgesetzt und war von Anfang an überzeugt, dass wir bei diesem Thema aus größerer Höhe moderieren sollten. Aus den Reihen der ARD haben uns nur positive, meist euphorische Stimmen erreicht."

Die „Tagesthemen“ sind durch das neue, großzügige Studio-Design, durch die Hintergrund-Animation der Nachrichten, durch die nie gekannte Beweglichkeit der Moderatoren und Nachrichtensprecher aufgebrochen. Nicht länger wirken Caren Miosga und Thomas Roth und Pinar Atalay wie festgetackert. Die bewegte Nachrichtenwelt schwingt aus in Moderatoren-Körpern, die sich bewegen dürfen. Ist alles noch kein News-Aerobic. Kein Shitstorm im Netz, ein Candystorm für Caren Miosga. Deutschland steht auf, naja, es steigt auf den Tisch.

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