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Medien: Niemals geht man so ganz

Zu Gast bei Rolf Wickmann, der in diesen Tagen seinen langjährigen Posten als Vorstand bei Gruner + Jahr abgeben muss

Nur noch diese Woche, dann geht’s in den Urlaub. Drei Wochen lang. Erst Mauritius, dann Südafrika. Und dann? Dann ist Rolf Wickmann raus. Raus aus dem Unternehmen, für das er mehr als 30 Jahre gearbeitet hat. In seinem Büro wird ein anderer, Jüngerer sitzen. Der Nachfolger ist sein Wunschkandidat. Aber: „Ich kann noch laufen, reden, denken, bin gesund, so richtig alt bin ich noch nicht – natürlich hätte ich auch noch ein paar Jahre weitermachen können“.

Rolf Wickmann, 58, und vor kurzem zum ersten Mal Opa geworden, ist Zeitschriftenvorstand von Gruner + Jahr, dem größten Zeitschriftenverlag Europas. Wickmann ist in der Medienbranche bekannt und geachtet. Außerhalb der Fachwelt kennen ihn wenige. Obwohl jeder die Zeitschriften kennt, um die er sich kümmert: der große „Stern“, der Klassiker „Brigitte“, das Wissenschaftsheft „P.M.“, das Reportagemagazin „Geo“ und viele andere. Auch das Bilderbuchblatt „Gala“, von dem viele dachten, es werde sich nie gegen die Konkurrentin „Bunte“ durchsetzen. „Gala“ hat es geschafft, auch wenn es viel Geduld und Arbeit gebraucht hat. Aber dafür war Rolf Wickmann der Richtige. Disziplin und Geduld, beides hat der Mann, in dessen Arbeitszimmer das Licht meist noch brannte, wenn rundherum schon alles dunkel war.

Hamburg, Baumwall, Gruner + Jahr. Die beiden Außenwände von Wickmanns Büro sind von der Decke bis zum Boden verglast, er hat freie Sicht auf die Elbe mit ihren Kränen, den vorbeiziehenden kleinen Fähren und großen Containerschiffen. Obwohl – so richtig freie Sicht hat Wickmann nicht. Zwar war er mitverantwortlich für den Bau des Verlagsgebäudes. Und er war es, der sich dieses Büro ausgesucht hat. Als er damals den Rohbau besichtigte, war er begeistert von dem Blick aus dem Fenster. Später wurde dann noch der Boden eingezogen, der Raum verlor einige Zentimeter an Höhe. Will der hoch gewachsene Wickmann stehend aus dem Fenster gucken, muss er sich bücken, sonst hat er den breiten Fensterrahmen genau vor den Augen. Bis heute ärgert ihn, dass er daran nicht gedacht hat. Ausgerechnet er, der Detailversessene. Er selbst redet lieber von Akribie. Andere mögen mit Genie gesegnet sein, Wickmann hat geschuftet, schon als Kind. Der nahe Eutin mit Plattdeutsch aufgewachsene Rolf litt als Kind unter einer leichten Schreib- und Leseschwäche. Seine Mutter trieb sie ihm aus. „Mit viel Liebe“, sagt er, „und mit noch mehr Akribie und Energie“.

33 Jahre hat Wickmann im selben Verlag gearbeitet, hat ihm ein Haus gebaut, hat jeden Chefredakteur eingestellt, der bei Gruner + Jahr arbeitet und hat in dieser Zeit die Anzahl der Zeitschriften, die der Verlag herausgibt, von 17 auf 37 erhöht, also mehr als verdoppelt. 33 Jahre. Fast genau so lange, wie er mit seiner Frau Anne verheiratet ist. Verheiratet ist man – wenn alles gut geht – für ein ganzes Leben. Angestellt nicht. Bei Bertelsmann gilt wie beim Tochterverlag Gruner + Jahr: Mit 60 ist Schluss. Wickmann ist erst 58. Gehen muss er schon jetzt. Er tut es ungern.

Wickmann wollte einen sanften Übergang, er wollte loslassen, aber langsam. Dem seit drei Jahren amtierenden Vorstandschef Bernd Kundrun, 46, erschien das wohl als zu langsam. Wickmann kann das verstehen: „Jeder braucht auf Dauer seine eigene, von ihm aufgebaute Mannschaft. Die hatte auch ich.“ Die beiden sind zwölf Jahre auseinander, beruflich sind sie unterschiedlich sozialisiert.

Hohe journalistische Qualität, das war der Anspruch der Magazine aus dem Hause Gruner + Jahr. Heute bewegt sich jeder Verlag in jedem Zeitschriftenmarkt, buhlt um jede Zielgruppe. Es herrscht Verdrängungswettbewerb, und so brachte auch G + J erst eine Fernsehzeitschrift heraus und neuerdings wie alle anderen Verlage, irgendwelche Shoppingguides und Frauenmagazine im Pocketformat.

Wickmann und Kundruns Vorgänger, Gerd Schulte-Hillen, waren ein über viele Jahre eingespieltes Team. Einer, der die beiden über Jahre aus nächster Nähe begleitet hat, sagt: „Schulte-Hillen war die Lokomotive, Wickmann der Bremser. Aber wo keine Lokomotive ist, da braucht es auch keinen Bremser mehr.“ Die Art, wie Wickmann geht, empfinden viele als ungerecht. Bei der Abschiedsfeier vergangene Woche trug „Geo“- Chefredakteur Peter-Matthias Gaede eine auf Wickmann übertragene Version des Fontane-Gedichts „John Maynard“ vor. Es endet: „Und mit erhabener Schrift in den Marmorstein / Schreiben sie ihren Dankspruch ein: / Er hat uns gerettet, er trug die Frohn / Er ging für uns, sein Abschied kein Lohn?“

Weak-man, so nannten ihn manche, denen Wickmann zu zaudernd, zu zögerlich erschien. Er war gewohnt, alles erst einmal mit Schulte-Hillen zu diskutieren und abzustimmen. Er kannte es nicht anders und machte das auch bei Kundrun so. Doch plötzlich wirkte er mit dieser Art entscheidungsschwach. Dialog, Streit, das gehörte bei G + J zur Unternehmenskultur. Wickmann ist einer der letzten im Verlag, die das Entstehen dieser Kultur aus eigener Anschauung kennen. So kommt es, dass Wickmann formal ein angestellter Manager war. Aber einer, der sich bei den Altverlegern und Gründern einiges abgeguckt hatte. Und so verstand er seine Arbeit auch als eine verlegerische. Anne Volk, die langjährige „Brigitte“- Chefin, erzählte bei Wickmanns Abschiedsfeier, wie er sich gern einmischte und sogar an der Auswahl der Schriften zu einem Artikel herummäkelte. Wickmann nervte die Chefredakteure. Einige sagen jetzt: „Mit Wickmann geht mir mein Ansprechpartner verloren.“

Seitdem feststand, dass Wickmann zum 31. Dezember 2003 den Vorstandsposten abgeben muss, war der Umgang mit ihm nicht einfach. Melancholisch, fast depressiv wirkte er, zog die Stimmung auf einen Tiefpunkt. Wickmann weiß das und erklärt den Grund: „Ich muss mir künftig überlegen, was ich in den nächsten zwei bis drei Tagen tun werde. Bisher habe ich nur darüber nachgedacht, wie ich mein unendlich erscheinendes Arbeitspensum in den sieben Tagen der Woche schaffen kann. Ich habe mir nicht Zeit genommen, über mich nachzudenken. Das könnte jetzt zum ersten Mal anders werden.“ Das Gespräch wühlt ihn auf, die Sache geht ihm nah. „Ja, ich bin nun mal emotional“, sagt Wickmann ein bisschen zu laut und fasst sich wieder, ganz diszipliniert.

Der Gedanke, dass sich Wickmann mit einer Journalistin trifft, weil die ein Porträt über ihn schreiben will, hat bei G + J nicht jedem gepasst. Vielleicht, weil Wickmann etwas loswerden will, bevor er geht. Eine Botschaft. Er mahnt, Redaktionelles nicht mit Werbung zu vermischen, Branchenregeln nicht zu verletzen, sich Anzeigenkunden gegenüber nicht zu flexibel zu zeigen. Schon gar nicht als Chefredakteur, auch wenn er „Verständnis für das Kaufmännische“ haben sollte. „Ein Verleger muss auch ,Nein’ sagen können“, meint Wickmann und fügt hinzu, er wolle den Leuten bei G + J Mut machen, ihre Meinung zu sagen. „Charakter“ zu zeigen. Und sie sollen sich bewusst sein, dass auch Zeitschriften einen Charakter haben, den man nicht dauernd verändern kann. Und: „Als Anzeigenmarktführer trägt der Verlag Gruner + Jahr eine Verantwortung für den Markt, den er anführt.“ Wickmann wurde oft belächelt, wenn er auf das Einhalten von Branchenregeln pochte. Er galt nicht wie jene, die die Regeln durchbrachen, als innovativ und flexibel. Aber: „Wer willfährig auf die Wünsche von Werbekunden eingeht, der verliert seine redaktionelle Unabhängigkeit“, sagt Wickmann. Sein Leitspruch lautet: „Die Redaktionen sind das Herz des Verlages.“ Er wird seine Gründe haben, wieso er glaubt, dies anmahnen zu müssen.

Ende Januar zieht Wickmann in ein neues Büro in der Hamburger Hafen-City. Von dort aus wird er sich um die Belange von G + J als Gesellschafter beim „Spiegel“ und der Motor- Presse Stuttgart kümmern. Bis März 2008 dauert sein Vertrag. „Ich werde mich auch in Zukunft äußern, soweit dies meine neuen Aufgaben zulassen“, sagt Wickmann – und erinnert damit ein bisschen an Schulte-Hillen, der wegen seiner Äußerungen bei Bertelsmann erst Streit bekam und letztlich seinen Posten als Aufsichtsratschef verloren hat.

Vielleicht ist Wickmann diplomatischer. Vermitteln war ja immer seine Stärke. Auch privat. Zum Beispiel, wenn er früher mit seiner Frau, den beiden Söhnen und der Tochter in den gemeinsamen Urlaub fuhr und es Streit gab wegen der Musik. Jeder wollte eine andere Kassette hören. Am Ende einigten sie sich meistens auf Udo Jürgens. Mittlerweile ist er mit dem Schlagersänger befreundet. Links in der Ecke seines Büros steht ein Geschenk von ihm, eine goldene Schallplatte. Die packt Wickmann nun auch in die Umzugskiste. „Ich kann mich von nichts trennen. Weder von Menschen, noch von Gegenständen.“

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