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Medien: November-Blues

Tom Peuckert verrät, was Sie nicht verpassen sollten Einerseits hat die Kunst keine vornehmere Aufgabe, als uns vom Schrecklichen zu erzählen. Von biografischem Schmerz und sozialem Elend.

Tom Peuckert verrät,

was Sie nicht verpassen sollten

Einerseits hat die Kunst keine vornehmere Aufgabe, als uns vom Schrecklichen zu erzählen. Von biografischem Schmerz und sozialem Elend. Andererseits brauchen wir im grauen November alle ein bisschen Spaßkultur. Wenn die Tage Totensonntag und Volkstrauertag heißen, zählt jeder gelungene Witz doppelt. Gut, dass manchem tragischen Dichter die Ironie nicht fremd ist. Der schwarze Humor, die melancholische Komik. Im Hörspiel „Norway today“ haben wir es mit jungen Leuten zu tun, die freiwillig aus dem Leben scheiden wollen. Der Tscheche Igor Bauersima hat die tragikomischen Dialoge zweier Lebensmüder geschrieben. Jugendliche Meditationen über den Freitod als letzte Bastion des Reinen und Echten in einer falschen, schmutzigen Welt.

Julie und August, Bauersimas Hauptfiguren, sind Nachfahren des romantischen Jünglings Werther. Man reist nach Norwegen, um von einer Klippe in den Abgrund zu springen. Weil Kant die Scheinhaftigkeit des ganzen Lebens nachgewiesen hat, dürfte das eigentlich kein Problem sein. Aber dann leuchtet plötzlich ein wunderschönes Polarlicht am Himmel, und die Frage, wer daheim die Goldfische füttern soll, ist auch noch nicht geklärt. Letzte Grüße an die Verwandten werden auf Video aufgezeichnet, aber wie bringt man die wirklich cool rüber? Sollte man das mit dem Sterben nicht lieber später probieren? Fazit: Das Leben ist zäher als jede philosophische Skepsis (SWR 2, 3. November, 16 Uhr 05, Kabel UKW 107, 85 MHz).

Dabei erscheint das Leben wirklich manchmal unendlich mühsam. Von der Arbeit, die zur täglich Qual werden kann, erzählt Gesine Danckwart in ihrem Hörspiel. Man denke sich eine Gruppe zeitgenössischer Figuren, an einem Werktag morgens, im sarkastischen Monolog vor dem eigenen Spiegelbild. Gleich werden sie hinaustreten aus der Einsamkeit ihres Wohngehäuses, hinein in eine Existenz als Supermarktkassiererin, Angestellte in der Werbebranche, IntercityReisender mit Aufstiegshoffnungen. Warum eigentlich geht man jeden Morgen da hinaus? Die Frage scheint unbeantwortbar. Danckwarts Figuren leiden an einer frustrierenden Arbeitswelt. Am nervenzerrüttenden Streben nach einem besseren Rang in der betrieblichen Hackordnung oder der Sehnsucht nach einer beruflichen Existenz, die so etwas wie Kreativität von ihnen verlangen könnte. Einstweilen gilt die Weisheit der biblischen Anthropologie: Mühsam nährt sich die sündige Menschheit. Was Gesine Danckwart mit ihren dramatischen Snapshots hervorragend zu illustrieren versteht (Täglich Brot, Deutschlandfunk, 5. November, 20 Uhr 10, UKW 97,7 MHz).

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