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65. Filmfestspiele in Venedig - "Jerichow"

© dpa

Porträt: Kreuzberger Minimalist

Benno Fürmann spielt Helden mit blauen Augen und ebenso klarem Anspruch auf eine Liebesbeziehung.

Benno Fürmann reist gern. Nach Nepal, Namibia, Galapagos-Inseln, Indonesien, Kanada, Ecuador. Für ein paar Tage, Wochen, mitunter ist er auch monatelang fort. Er taucht, wandert oder schaut sich Sehenswürdigkeiten an. Vor kurzem wurde er von einer Schauspielschule gefragt, ob er nicht Lust hätte, junge Kollegen zu unterrichten. Er hat das Angebot mit einem Zitat aus dem Roman „On the Road – Unterwegs“ von Jack Kerouac abgelehnt: „Ich habe nichts zu bieten, aber meine eigene Verwirrung.“ Es scheint, als suche Benno Fürmann in seinem Leben immer noch nach dem richtigen Platz.

Er sitzt im Ritz-Carlton-Hotel in Berlin in einem Konferenzzimmer und gibt Interviews zu seiner neuen Fernsehrolle. In dem Sat-1-Zukunftsdrama „Die Grenze“ spielt Benno Fürmann einen Werbegestalter, der von der Politik benutzt wird, um eine aufkommende rechte Partei in Mecklenburg-Vorpommern zu stoppen.

Auf dem Werbeplakat zum Film sieht er aus wie ein Männermodel von Hugo Boss. Klare, blaue Augen, gerade Gesichtszüge, Dreitagebart, ein makelloses Gesicht. Es macht ihn zum bestaussehenden Schauspieler Deutschlands. Ob in Doris Dörries Kinofilm „Nackt“, Tom Tykwers „Der Krieger und die Kaiserin“ oder in dem Fernsehfilm „Die Sturmflut“ – Benno Fürmann spielt Helden, wie man sie sich wünscht: schmuck, stark, sexy und immer mit Anspruch auf eine Liebesbeziehung.

In dieser ausgestellten Makellosigkeit liegt aber auch das Problem, das man mit einem Schauspieler wie Benno Fürmann haben kann: Es fällt schwer, etwas an ihm zu erkennen. Ein Gesicht, das sich nicht regt und nichts verrät. Für Regisseur Christian Petzold und seine minimalistischen Kinofilme „Wolfsburg“, „Gespenster“ und „Jerichow“ war es genau das Richtige. In den Landschaften der Einsamkeit wirkte Fürmanns reduzierter Ausdruck geheimnisvoll und bedeutend, als wäre die glatte Fassade nur damit beschäftigt, die darunterliegenden Abgründe oder Sehnsüchte zu verbergen.

Ein Prinz mit Bauarbeitercharakter

Er trägt Jeans und einen blauen Pullover, breitbeinig sitzt er auf dem Stuhl. Ein Prinz mit Bauarbeitercharakter, lässig, unkompliziert, cool. Er lacht viel. Während des Gesprächs steht er auf, macht sich einen Tee oder knöpft sich plötzlich die Hose zu. Dann muss sein Jackett für die Premiere des Sat-1-Films noch in die Reinigung, weil es von einer durchfeierten Nacht schmutzig ist. Ein wenig verhält sich Benno Fürmann so, als sei es ihm egal, was andere über ihn denken. Als hätte er nichts zu verlieren. Oder aber er gibt sich gerade deswegen so selbstsicher, um sich vor Verlust zu schützen. Von seiner Vergangenheit will er nicht viel erzählen. Wie eine alte Zeitung hat er sie zusammengelegt, gefaltet und in einen Ordner einsortiert. „Keep your shit at home – trag nicht dein ganzes Leid vor dir her“, sagt er, und es ist so etwas wie sein Lebensprinzip.

1972 wurde Benno Fürmann in Berlin-Kreuzberg geboren, seine Mutter starb, als er sieben, sein Vater, als er 15 Jahre alt war. Er wuchs bei seiner Stiefmutter auf. Die Mauer hatte er vor Augen, aber er nahm sie nicht wahr. „Die stand halt da und gehörte dazu. Wie eine Straße, die hässlich ist.“ Er erinnert sich nur daran, dass er zahlreiche Fußbälle an den Wachposten im Grenzstreifen verlor. Und dass seine Tante, eine überzeugte Sozialistin, einmal auf der anderen Seite im Krankenhaus lag und ihm gewunken hat. Seine eigenen Grenzen hat Benno Fürmann immer selbst festgelegt. „Ich fand es spannender, auf mein Gesetz zu hören, und wollte mich nicht fremdbestimmen lassen.“ Mit 17 knallte er beim S-Bahn-Surfen mit seinem Kopf gegen einen Betonpfeiler. Nach dem Krankenhausaufenthalt konnte er kaum gehen. Noch heute aber hält er es für wichtiger, den „gesunden Menschenverstand kreativ zu trainieren statt staatshörig zu sein“. So kann es passieren, dass er im Museum nicht den vorgeschriebenen Pfeilen folgt, sondern einfach in die andere Richtung läuft. Oder dass er sich mit einem Polizisten anlegt, weil der sich im Ton vergriffen hat. In so einem Moment reißt Benno Fürmann die Augen ganz weit auf, guckt sein Gegenüber direkt an und spricht in einem nach Kreuzberg klingenden Slang: „Hören Sie mal, mir gefällt Ihr Ton nicht. Sprechen Sie nicht so mit mir.“ Benno Fürmann weiß, was er nicht will.

Als er 18 war, machte er eine Erbschaft. Er kaufte sich eine Harley Davidson für 20 000 Mark. „Das war ein herrliches Gefühl“, erzählt er, „zu wissen, man ist gerade vollkommen unvernünftig, aber auch wahnsinnig glücklich, von einer abbezahlten Harley Davidson den Zündschlüssel in die Hand zu bekommen.“ Zusammen mit seinem Freund Johnny fuhr er quer durch Berlin – Hallesches Tor, Steglitz, Havelchaussee. Ein Easy Rider mit O-Beinen und dem Drang nach Leben. „Ich war froh, aus der Schule raus zu sein“, sagt er. „Ich wollte Alkohol trinken, Frauen kennenlernen und auf Dächern rumturnen.“ Er wurde Gerüstbauer.

1991 verkaufte er seine geliebte Harley und ging nach New York

Vielleicht hat er schon von dort oben einen anderen Blick bekommen. Eine größere Sicht auf die Welt, die ihn umgibt. Benno Fürmann ist bei Amnesty International aktiv, Schirmherr einer „Schule ohne Rassismus“, klärt über Organspende auf und unterstützt seit kurzem ein Projekt mit dem Namen Betterplace.org. Über diese Internetplattform hat er bereits für eine Berliner Obdachlosenunterkunft, Essenszelte in Kenia und für einen Kinderarzt in Nepal gespendet. Er spricht über das Projekt lange und mit Begeisterung. Einmal hält er kurz inne. „Ich will nicht als Samariter rüberkommen“, sagt er, „aber ich finde es wichtig, über den Tellerrand hinauszugucken.“

1991 verkaufte er seine geliebte Harley und ging nach New York. Er war 19 und wollte mal raus aus Berlin. Ein paar Auftritte im Schülertheater, bei denen er Tucholsky rezitierte, hatten ihn neugierig auf die Schauspielerei gemacht. Er studierte das Leben und am Lee-Strasberg-Theatre-Institut. Einmal sollte er einen Menschen beobachten und als genau dieser wiederkommen. Er ging zum Union Square und betrachtete einen Mann, der seinen Blick erwiderte. Eine Stunde später bemerkte Benno Fürmann, dass der Mann ihn gemalt hatte. Als Maler kehrte er nun in sein Seminar zurück, mit einem Bild von sich selbst unter dem Arm. Was er anderthalb Jahre später aus New York nach Berlin mitbrachte, waren eine Tätowierung und der Vorsatz, frei zu sein für alle Möglichkeiten, die sich ihm bieten.

Hooligan, Tankwart, Verbrecher, Soldat, Bergsteiger – Benno Fürmann hat viele Rollen gespielt. Bekannt geworden ist er 1998 in der „Bubi-Scholz-Story“, Roland Suso Richters Verfilmung über die Berliner Boxerlegende. Ein wenig ist es so, als hätte diese Figur ihn bis heute begleitet. In dem neuen Zweiteiler „Die Grenze“ gibt es eine Szene, in der er als niedergeschlagener Werbeagent allein vor einer Imbissbude steht, Wodka trinkt und in die Luft boxt. Das Bild mag als Reminiszenz an die alte Zeit verstanden werden. Vielleicht aber auch ist es ein Bild, das ihn am besten beschreibt. Benno Fürmann, der Boxer, jederzeit bereit, umgehauen zu werden oder zu gewinnen. Vor ein paar Jahren ist er nach Indien gereist und dort in ein Kloster eingetreten. Am Tor musste er bis auf seine Klamotten und die Zahnbürste alles abgeben. Er verpflichtete sich, die zehn Tage der Schweigemeditation durchzuhalten. Zehn Stunden am Tag saß er auf einem dünnen Kissen und versuchte, „Moment für Moment im Moment“ zu sein. Nach ein paar Tagen hatte er unglaubliche Schmerzen. Er ging zum Meister und bat ihn um ein größeres Kissen. Der aber hatte keins. Da sagte Fürmann zu ihm: „Dann gehe ich jetzt da raus und klettere über die Mauer.“ Der Meister lächelte und entgegnete nur: „Du bist ein starker Mann, das sehe ich. Du wirst bleiben.“ Für Benno Fürmann wurden es die zehn härtesten Tage seines Lebens.

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