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Porträt: Triumph mit Hut

Wer war Erich Honecker? Der NDR zeigt eine Collage aus Eindrücken und Einschätzungen von Zeitgenossen.

Von Matthias Schlegel

Erst im Angesicht von Krankheit und Tod ist man wohl zu den ehrlichsten Selbstvergewisserungen fähig. Und so ist es in dem einstündigen Porträt Erich Honeckers der Urologe des einstigen Staats- und SED-Chefs, der die größte Nähe erfahren hat: „Ich bin durch diese Funktion Generalsekretär, Vorsitzender des Staatsrates, überfordert“, zitiert der Berliner Arzt Peter Althaus seinen Patienten, den er wegen seines Nierenkrebses operierte. „Es ist die einzige Einsicht, die er mir gegenüber geäußert hat.“

Es gibt nicht vieles in diesem Film des NDR, was dem allgemein bekannten Bild des DDR-Staatschefs neue Schärfe geben könnte. Aber es ist dennoch eine interessante Annäherung an den 1912 im Saarland geborenen Karrierekommunisten und Apparatschik. Denn es ist keine Biografie im herkömmlichen Sinne, sondern eine fast gänzlich aus Eindrücken und Einschätzungen von Zeitgenossen zusammengesetzte Collage über den Mann, der nach Haft in NS-Gefängnissen das neue, sozialistische Deutschland aufzubauen gedachte: als Berufsjugendlicher an der Spitze der FDJ, 1961 als Architekt der Mauer, 1971 als Nachfolger Ulbrichts von Breschnews Gnaden, als ehrgeiziger, um internationale Reputation buhlender und schließlich 1987 von Bundeskanzler Helmut Kohl auf dem roten Teppich in Bonn empfangener Staatsmann. Und er ist ein Führer seines Volkes, der den Menschen gefallen will und ihnen Wohnungen und im eigenen Land produzierte Jeans gibt. Koste es, was er nicht wissen wollte. Der aber von niemandem in seinem Umfeld darauf aufmerksam gemacht wird, dass es nicht „Hig-Technologie“, sondern High-Technologie heißt, was da in Jena produziert wird. Und den der Realitätsverlust schließlich aus dem Amt, ins Exil erst nach Lobetal zu Pfarrer Holmer und dann nach Chile befördert.

Ehemalige Weggefährten wie Egon Krenz und Hans Modrow kommen zu Wort, Manfred Stolpe als einstiger Verhandlungspartner aufseiten der evangelischen Kirche, westdeutsche Politiker wie Egon Bahr, Klaus Bölling, Edmund Stoiber, Hans-Jochen Vogel und Hans Otto Bräutigam, die ostdeutschen Kabarettisten Peter Ensikat und Uwe Steimle, die Journalisten Fritz Pleitgen und Friedrich Nowottny und Leute aus Honeckers unmittelbarem Umfeld wie der Liedermacher und Vertraute der Familie Honecker, Reinhold Andert und Leibwächter Bernd Brückner.

Ob man wissen will, dass Honecker ein Hut-Fan war und leidenschaftlich gern Kassler – warm und kalt – aß, sei dahingestellt. Dass aber die palästinensische Befreiungsorganisation ihrem „Freund“ Erich Honecker ein persönliches, lebenslanges Konto einrichtete, weil dieser einst geholfen habe, die Massaker an palästinensischen Flüchtlingen im Libanon zu beenden, hört man mit Erstaunen. Auch diese Geschichte steuert der Arzt bei. Denn im Krankenhaus hatte der gestürzte Staatschef nicht einmal Geld, um sich eine Tasse Kaffee zu kaufen, weil die Staatsanwaltschaft seine Konten gesperrt hatte. Da kam dann der PLO-Botschafter mit der guten Nachricht vorbei.

Fritz Pleitgen hat 15 Jahre nach dem Mauerfall angehende Abiturienten in Eisenach gefragt, ob sie Erich Honecker kennen. Die meisten haben den Namen schon mal gehört. Einer sagt, dass der wohl eine führende Rolle in der DDR gespielt habe. Pleitgens Kommentar: „Da wusste ich, wie die Bilanz von Erich Honecker aussah.“ Matthias Schlegel

„Erich Honecker“, NDR, 23 Uhr 15

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