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Berthold Dücker.

© ZDF und Einat Schneppenheim

Porträtformat: Ein Foto, ein Leben

In Frieden und Freiheit: Das neue Porträtformat „Zurück zum Augenblick“ erzählt drei Geschichten zur Wiedervereinigung.

Das besondere Foto im Leben von Berthold Dücker, 67, aus Thüringen stammt aus dem Jahr 1973. Darauf sieht man zwei Personen: Den groß gewachsenen Dücker selbst, kerzengerade, lächelnd, in hellem Anzug und sehr buntem Schlips, daneben seine kleinere Mutter, die sich eng an ihn schmiegt und mit ihrer linken Hand die rechte ihres Sohnes festhält. Beide blicken zur Kamera. Es wirkt etwas steif und innig zugleich, wie sie da Aufstellung genommen haben beim ersten Wiedersehen in der DDR, zehn Jahre nach Dückers Flucht.

Heimlich war er im Alter von 16 Jahren an einem Montag aus dem Haus geschlichen und zur Grenze gelaufen. Die Eltern wussten von nichts. Dücker, der Journalist werden wollte – allerdings nicht in der DDR –, erinnert sich an seine „inneren Kämpfe“. Und er erinnert sich an das Bild, das es nur in seinem Kopf gibt: wie die Mutter an jenem Montag die Wäsche wusch, während er sich unbemerkt auf den Weg machte. Dücker schnitt mit der Kneifzange den Draht am ersten Grenzzaun durch, kroch auf dem Bauch durchs Minenfeld und schaffte es tatsächlich unverletzt in den Westen. Journalist wurde er auch, nach der Wende sogar wieder in Thüringen.

Ein Foto ist heute schnell gemacht, überall und jederzeit. Bilder werden ohne großen Aufwand erstellt, bearbeitet, verschickt. Fotografie zu zelebrieren, um die sich dahinter verbergenden Geschichten zu erschließen, hat deshalb etwas Altmodisches und zugleich Respektvolles. In dem 30-minütigen Porträtformat „Zurück zum Augenblick“ wurden ausgewählte Fotografien wie zu einer kleinen Lebensausstellung in der „Alten Destille“ der Krefelder Dujardin-Brennerei aufgehängt. Die Zeitzeugen schlendern an den eigenen Bildern vorbei und erzählen. Neben Dücker geht es um Gisela Bragenitz, 70, aus Ost-Berlin, deren Töchter kurz vor der Wende die DDR verließen, sowie um das Ehepaar Regina, 65, und Eckard, 71, Albrecht. Sie stammt aus dem Osten, er aus dem Westen. Beide haben eine dramatische Liebesgeschichte hinter sich, zu der eine abenteuerliche Flucht Reginas im umgebauten Tank eines Autos und die Hochzeit in Bad Gandersheim am Harz gehören.

Der Clou dieses Formats, das aus dem israelischen Fernsehen („Capturing the Moment“) stammt: Ein Foto wird jeweils noch einmal am Originalschauplatz nachgestellt. Wieder trägt Berthold Dücker einen hellen Anzug und einen bunten Schlips. Sogar einen orangeroten Polski Fiat 125p haben die Ausstatter beschafft, weil ein solches oder ein ähnliches Modell auch am Rand des alten Fotos zu sehen war. Neben Dücker bleibt allerdings eine Leerstelle, denn seine Mutter starb schon zwei Jahre nach dem fotografisch dokumentierten Wiedersehen. Überzeugender wirkt diese Form der Inszenierung bei den anderen: weil Gisela Bragenitz so herzlich schallend lacht, als sie am Strand von Usedom mit ihrer Familie zusammenkommt. Und weil die Albrechts, wie es scheint, heute noch genauso verliebt wie damals die Treppe vom Bad Gandersheimer Rathaus herunterschreiten.

Leider schränken eine hibbelige Kamera und eine seifige Musik das Vergnügen zeitweise ein, doch im Gegensatz zum pathetischen ZDF-Begleitsound in historischen Dokumentationen baut dieses hier einmalig getestete Format stärker auf die Zeitzeugen und ihre Geschichten selbst. „Flucht ist ja kein Thema, das jetzt hinter uns liegt“, sagt Berthold Dücker am Ende. „Auch heute fliehen Menschen, und alle aus sehr ähnlichen Gründen wie ich. Sie wollen in Freiheit und Frieden leben.“

„Zurück zum Augenblick“; ZDFneo, Freitag, 22 Uhr 05

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