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Medien: Schweigen für die Pressefreiheit

US-Medien kritisieren „Hexenjagd“ auf „New York Times“-Reporterin

Erst als sie ihr die Handschellen und Fußfesseln anlegten, wurde Judith Miller bewusst, was passiert war: „Wir fuhren dann an den Regierungsgebäuden vorbei, aus denen ich sonst berichte, und ich dachte: ‚Mein Gott, wie ist es dazu gekommen?’“ Vier Monate muss die Reporterin der „New York Times“ in Beugehaft ins Gefängnis von Alexandria, Virginia, vor den Toren Washingtons. Richter Thomas F. Hogen hatte sie am Mittwoch angeordnet, nachdem sich Miller geweigert hatte, ihre Informanten für einen Bericht preiszugeben, den sie nie geschrieben hatte.

Millers Arbeitgeber sahen ihren Schritt als einen Akt zivilen Ungehorsams, in bester Tradition mit den Grundwerten Amerikas. „Das Gesetz ließ ihr nur die Wahl, das Vertrauen ihrer Quelle zu missbrauchen oder ins Gefängnis zu gehen“, sagte „New York Times“-Chefredakteur Bill Keller. In einem langen Beitrag kommt die Zeitung zu dem Schluss: „Wir stehen Frau Miller bei und danken ihr dafür, dass sie für den Rest von uns kämpft.“ Der Herausgeber der „Times“, Arthur Sulzberger Jr., forderte den Kongress auf, ein Gesetz zu verabschieden, dass den Journalisten landesweit ein Zeugnisverweigerungsrecht einräumt.

Während Miller ins Gefängnis musste, verließ ihr Kollege Matthew Cooper den Gerichtssaal als freier Mann. In letzter Minute hatte er sich entschieden, seine Quelle zu offenbaren; seine Quelle hatte ihm das erlaubt. In der Vorwoche hatte sein Arbeitgeber, das „Time Magazine“, bereits entschieden, seine Rechercheunterlagen dem Gericht zu übergeben. Damit war sein Schweigen ohnehin gegenstandslos geworden. „New York Times“- Chef Keller kritisierte die Entscheidung des Magazins als Verrat an der Branche.

Auch nach der spektakulären Verhaftung Millers bleibt der Fall ein Mysterium, das am klarsten durch seine Schatten definiert sei, befand „Washington Post“-Medienkritiker Howard Kurtz. So verdichten sich die Anzeichen, dass es sich bei Coopers Informanten um Karl Rove handelt, dem engsten persönlichen Berater von US-Präsident Bush, was eine äußerste pikante Wendung wäre. Das hieße nämlich, dass das Weiße Haus absichtlich die Identität einer CIA-Agentin an die Öffentlichkeit gab, um sich an deren Mann zu rächen. Der hatte zuvor in einem Beitrag für die „New York Times“ Bushs Behauptung, Saddam habe sich in Nigeria Material für den Bau von Atombomben besorgen wollen, als Lüge entlarvt. Warum bislang nur die Überbringer der Nachricht belangt wurden, nicht aber die Verräter, die sich laut Gesetz strafbar machten, bleibt ebenfalls ein Rätsel.

Was viele Medienkritiker als „Hexenjagd“ des Weißen Hauses auf missliebige Journalisten ansehen, wird bislang von der Öffentlichkeit mit Gleichmut wahrgenommen. „Die Leute respektieren nicht mehr, was wir tun“, sagte Daniel Schorr, ein altgedienter Reporter des „National Public Radio“. Als ihn 1976 der Kongress zur Preisgabe eines Informanten zwingen wollte, hatte es noch einen öffentlichen Aufschrei gegeben. Heute, meint Schorr, „würde kein Hahn danach krähen“.

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