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Medien: Sittenpolizist auf Intendanten-Thron?

Der frühere ZDF-Chef Dieter Stolte positioniert sich als Fernseh-Philosoph der moralischen Mitte

Es gibt Journalisten, die finden sich komisch, wenn sie das ZDF als Kukident-Sender veräppeln. Die Pointe ist fast zwei Jahrzehnte alt. Inzwischen ist jeder Fernsehgottesdienst origineller. Was aber ist der Sender auf dem Lerchenberg wirklich? Eine Käfig-Haltung für Mainzelmännchen? Oder ist es der Sender mit dem höchsten Informationsanteil, wie Intendant Markus Schächter anhand von Minuten-Statistiken nachweist?

Das ZDF ist auch Dieter Stolte – immer noch, jugendfrei und garantiert familienfreundlich. Nach sechsunddreißig Jahren ZDF, davon zwanzig Jahre Intendant, und seit zwei Jahren Pensionär hat Stolte sich mit seinem im Beck-Verlag erschienenen Buch „Wie das Fernsehen das Menschenbild verändert!“ seine fernsehphilosophische Grundsatzerklärung von der Seele geschrieben, einschließlich der Abrechnung mit den Privaten, denen er ökonomischen Erfolg, jedoch ohne „programmliches Gewissen“, bescheinigt und deren vorherrschenden Managertyp er mit einem Piloten vergleicht, der „nur für seine Maschine, nicht für deren Insassen Verantwortung“ spürt. In diesem Luftraum ginge es nur um die Frage: „Wer wird Millionär?“ und nicht „Was ist der Mensch?“. Achtung oder Missachtung der Menschenwürde ist für Stolte der messbare Unterschied zwischen der kommerziellen und der öffentlich-rechtlichen Fernsehwelt.

Zu diesem manichäischen Medienweltbild bekennt sich ein Mann, der mit dem Privat-Tycoon Leo Kirch manchen schönen Deal ausheckte. Stolte kaufte Hunderte von Filmen, darunter beste Cineasten-Ware. Die Streifen mit dem offenen Hosenlatz überließ er gemäß seiner Programm-Maxime „Erlaubt ist, was sich ziemt!“ dem Münchner Schmuddelonkel und seinen Sendern.

Lange Zeit wirkte das ZDF wie eine Außenstelle der Aktion „Saubere Leinwand“. Wenn der Sender Krimis wie „Derrick“ auflegte, in denen es keine Gewaltszenen gab, wenn Thomas Gottschalk mit der zur Stolte-Zeit entwickelten Show „Wetten, dass...?" kleine Leute mit ihren manchmal etwas depperten, aber immer unschuldigen Leistungswettbewerben in jeden deutschen Fernseh-Haushalt brachte, dann entsprachen solche Programmideen der Grundstimmung des studierten Philosophen Stolte. Angesichts des aktuellen Dauer-Gemetzels auf dem Fernsehschirm und der drohenden Chirurgen-Kriege um silikongestählte Busen wirkt das sogar eher sympathisch. Schon die Sprößlinge der 68er gingen im Kinderladen „Rote Freiheit“ wütender aufeinander los, als je ein Kommissar des ZDF auf den gemeinsten Gewaltverbrecher. So unterschied sich schon damals Stoltes Weltbild von jedem modernistischen Trend. Waren es damals die eifrigsten Kapitalismus-Kritiker, so sind es heute die eifrigen Medienkapitalisten, von denen Stolte sich abgrenzt. Er blieb zeitgeistresistent.

Der Lerchenberg ist kein Lehrstuhl für Philosophie des deutschen Idealismus, aber er wurde unter Stolte zu einer Fernsehwerkstatt der sittlichen Vernunft, in der Onkel Ludwig aus der Fernsehserie „Diese Drombuschs“ der aufmüpfigen und zur Menschen-Hasserin werdenden Vera entgegenschleudert: „Du hast Deine Mitte verloren!“ – Dieses Wort ist der Kernbegriff von Stoltes Medienphilosophie, nach der auch in der populärsten Fernsehkost „immer etwas Wahres, immer Gültiges“ enthalten sein sollte. Mit diesem achtenswerten Konservativismus machte er das ZDF zum Marktführer in der Unterhaltung. Das klingt heute wie eine Geschichte aus einer anderen Welt.

Aber angesichts Kuheuter lutschender und Würmer verzehrender Laiendarsteller, mit denen die Piloten des Privatfernsehens Volksbelustigung auf anderer Leute Kosten betreiben, wünscht man sich gelegentlich Programm-Macher, die ihren Betrieb mit „klaren moralischen Vorstellungen, mit eigener Position, Meinung, Haltung oder Richtung“ (Stolte) prägen und sich nicht wie der RTL-Großwesir Gerhard Zeiler als fleischgewordenen Mainstream-Klon outen. Zeiler: „Meine Musik ist mainstream, mein Filmgeschmack ist mainstream. Ich bin mainstream. Ja!“

Nein, Stolte war nicht der weltfremde Sittenpolizist auf dem IntendantenThron. Er brockte seinem Nachfolger Geschäftsmodelle ein (Schleichwerbung, Dauerwerbung für T-online), die Schächter unter den Augen der Politik vom Bildschirm vertreibt. So sehr Stoltes parteipolitischer Ausgewogenheits-Tick manchem auch auf die Nerven ging, so kann er heute von diesem Standpunkt glaubwürdig die „Gleichschaltung“ der Medien auf unterstem Qualitätsniveau und den Zwang zur „Linientreue“ geißeln, die kommerzielle Medieneigner von ihren Leibeigenen erwarten – wie Rupert Murdoch, in dessen Verlautbarungsorganen Irak-Gegner wie „Staatsfeinde“ oder „Würmer“ behandelt wurden. Oder wie Haim Saban, der seinen deutschen Redakteuren von N24 die Rechts-Brutalos der amerikanischen „FoxNews" als Leitbild empfahl.

Das Privatfernsehen hat das Menschenbild verändert, aber nicht so, wie Stolte es sich wünscht. Es bietet mainstream statt wohlbedachter Standpunkte, es klärt nicht auf, es sendet was sich verkauft, und es missachtet, was sich ziemt. Umso mehr erwartet Stolte von seinen Kollegen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, dass sie sich auch bei neuen Formaten an seinen pädagogischen Imperativ halten und den „Menschen in einer gemeinsamen Mitte Orientierung“ bieten. „Die Fernseh-Quote ist Euch in die Hand gegeben/ steigert sie...!“ Falsch: „Der Menschheit Würde ist in Eure Hand gegeben/bewahret sie!/Sie sinkt mit Euch!/Mit Euch wird Sie sich heben!“ Aber kann man mit einem Spruch wie aus dem Poesie-Album Erfolgsprogramme machen? Auf den, der sich einen Abend lang durch vierzig Kanäle zappt, wirkt das Idealistenduo Schiller-Stolte fast schon wieder postmodern.

Der Autor ist Intendant des DeutschlandRadio Köln/Berlin.

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