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Udo Reiter, wie Udo Reiter auf dem offiziellen MDR-Intendantenbild gesehen werden will. Am Montag hat er seinen letzten Arbeitstag. Foto: MDR

© MDR/Martin Jehnichen

Stabwechsel: Gloriose Jahre, bittere Momente

Udo Reiter ist seit 1991 Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks in Leipzig. Am Montag hat er seinen letzten Arbeitstag. Ein Denkmal wird man ihm nicht bauen.

Es gibt dieses offizielle Udo-Reiter-Foto. Die Brille so weit herabgezogen, dass er stahlgerade dem Gegenüber in die Augen schauen kann, der Mund leicht schief geöffnet, das Lächeln wirkt gezwungen, immerhin, die Krawatte, die bei Reiter sonst ins Nirgendwo rutscht, sitzt perfekt. Gesamteindruck: Der Mann hat gern schlechte Laune, eine latente Agressivität wartet darauf, sich beim erstbesten Mitarbeiter zu entladen. Könnte ja so sein, Udo Reiter ist Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR). Die spätabsolutistische Verfassung einer jeden öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalt sieht vor, dass der Chef nach innen immer recht hat und nach außen die alleinige Verantwortung für die Erfolge wie Misserfolge seines Senders trägt.

Udo Reiter führt bis Montag um Mitternacht die Dreiländeranstalt für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Dann führt Karola Wille. Reiter ist Intendant seit Gründung des MDR 1991, der Sender hatte bis zur Wahl der Justiziarin Wille als Nachfolgerin nur diesen Chef. Das hatte Folgen.

Mit dem Mitteldeutschen Rundfunk wurde die Mitteldeutsche Rundfunk AG (Mirag) quasi wiederbelebt. Das ARDModell, exempliziert in der West-Anstalt NDR, wurde dafür übernommen: Eine Zentrale, starke Landesfunkhäuser, länderübergreifende Programme in Hörfunk und Fernsehen, regionalisiert in Landeswellen und Fenstern im MDR-Dritten.

Dem Mitteldeutschen Rundfunk, seinen mehr als 2000 Mitarbeitern und seinem Intendanten glückte mehr als nur Radio und TV. Es fand Identitätsstiftung statt: Mitteldeutschland war wiedergeboren, die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Und der MDR war ein Ausweis von Ost-Stolz, wer sonst noch konnte östlich der Elbe von sich sagen, dass er dem Westen finanziell half? Mehrere Jahre zahlte der MDR in den ARD-Finanzausgleich ein. Der Soli in die Gegenrichtung, was für eine Genugtuung.

Udo Reiter und sein Leitungsteam, das waren und das wollten keine Invasoren aus dem Westen sein. Sie waren Aufbauhelfer, durchdrungen von der Aufgabe und klug beraten, dass der Daseinszweck eines öffentlich-rechtlichen Senders das Produzieren und das Machen von Programm ist für jene, die es bezahlen. Der MDR bot in diesen Zeiten eines immensen gesellschaftlichen Umbruchs Heimat an. Daraus wurde eine Melange aus „Polizeiruf 110“, Lebensberatung, Schunkel. Wenn das Wort „Ostalgie“ seine Berechtigung hatte, dann im MDR. Dafür gab es Häme, aber Reiter ist keiner, der gegen das Publikum und seine breiten Bedürfnisse ansenden wollte. Bis heute ist das MDR-Fernsehen das erfolgreichsteDritte.

Udo Reiter schwärmt von diesen Aufbaujahren, als wichtige Entscheidungen über den Flur hinweg getroffen wurden. Und dann dieser Bonus: Die Erfolgsgeschichte des Kinderkanals von ARD und ZDF konnte in Erfurt starten. Reiter war intensiv an dem Coup beteiligt.

Probleme? Auch. Der MDR kam schnell in den Ruf, ein Auffangbecken für frühere Mitarbeiter des DDR-Rundfunks zu sein. Sie wurden „gegauckt“ und wieder „gegauckt“, aber die Seilschaften blieben intakt genug, dass aus dem MDR-Inneren in das Schattenreich der MDR-Töchter und darüber hinaus Aufträge vergeben werden konnten.

Ein Sender ist schneller aufgebaut, als die Verhaltensweisen seines Personals geändert sind. Dass der Mitteldeutsche Rundfunk lange auch eine verspätete DDR in den Denk- und Arbeitsstrukturen von Befehl und Gehorsam war, zeigte sich in den heraufziehenden Skandalen. Sportchef Wilfried Mohren verkaufte Übertragungszeiten gegen Geld. Herstellungsleiter Marco K. etablierte beim Kinderkanal mafiöse Strukturen von oben nach unten, um seine Spielsucht zu finanzieren. Mit mehr als acht Millionen Euro Schaden war kein Betrugsfall größer in der ARD-Historie. Reiter sagte im Tagesspiegel-Interview, „diesen Ruhm haben wir für uns“.

Als dann noch in diesem Sommer ruchbar wurde, dass Unterhaltungschef Udo Foht in dubiose Geldgeschäfte verwickelt war, wurde ein Muster sichtbar. Im MDR stinkt der Fisch vom Kopfe, die meisten Übeltäter hatten führende Positionen, bei den meisten hatte sich Reiter selbst um die Bestallung gekümmert. Sein Führungsprinzip der langen Leine war desavouiert.

Reiter erinnerte in seiner vierten Intendanz ab 2009 an die vierte Kanzlerschaft von Helmut Kohl: Ein ancien régime mit Erstarrungstendenzen, die Mäuse – siehe das MDR-Fernsehballett bei Tschetscheniens Diktator – tanzten auf dem Tisch. Reiter schien die Anstalt entglitten zu sein, erkennbar auch daran, dass der Rundfunkrat Reiters eigentlichen Favoriten für die Nachfolge, den Chefredakteur der „Leipziger Volkszeitung“, Bernd Hilder, brutal durchfallen ließ.

Die eine Seite, die andere: Die Finanzen sind geordnet, die Programme kommen an, der fünftgrößte ARD-Sender prägt das Erste Deutsche Fernsehen mit. Reiter, ein Mann, der im Kartenraum seine Strategien zu entwickeln pflegt, führte ein ertragreiches Regiment. Zugleich steht es für massives Versagen der senderinternen Kontrolle. Ein Betrug ist Zufall, fortgesetzte Betrügereien sind systemisch.

In der gleichen Weise, wie sich Reiter dann an die Aufklärung gemacht hat, war er um die Zukunftsfähigkeit des Senders besorgt. Das „Ostalgie-Gehampel“, wie Mike Mohring, CDU-Fraktionschef im Thüringer Landtag, über das MDR-Programm lästerte, soll überwunden werden. Reiter hat die Weichen gestellt: Mit ihm geht Chefredakteur Wolfgang Kenntemich, kurz vor ihm gingen Fernsehdirektor Wolfgang Vietze und Sachsens Landesfunkhauschefin Ulrike Wolf. Mit Reiters Personalentscheidungen soll die neue Zeit in die Häuser, ins Programm fahren. Seine Nachfolgerin Karola Wille wird mit den Affären noch zu schaffen haben, aber was die trimediale Zukunft, die Ansprache ans junge Volk, da hat Reiter die Leitplanken gesetzt. Es könnte ihn kränken, wenn dies übersehen würde.

Der promovierte Germanist startete beim Hörfunk des Bayerischen Rundfunks, wurde dessen Direktor. Dort debütierte Thomas Gottschalk am Mikrofon, und es ist keine Übertreibung, dass das ARD-Engagement dieses Zuschauerkönigs auch auf dieser Zeit beruht.

Udo Reiter bezeichnet sich jetzt als „Rentner Reiter“ und gibt sich dieses Programm: „Ich werde mich um die schönen Dinge des Lebens kümmern: Garten, Film, Literatur“. In Leipzig hat der verheiratete Familienvater sein Zuhause gefunden. Mag sein, dass der Bayer aus Lindau am Bodensee als Teilzeit-Ossi kommen wollte. Als MDR-Intendant hat er Mitteldeutschland rauf und runter bereist, da ist jemand etwas sehr ans Herz gewachsen. Der 67-Jährige hat den Entschluss, vor Ablauf seines Vertrages 2015 zu gehen, allein gefasst. Reiter sitzt seit 45 Jahren im Rollstuhl, das „schöne wie schwere Amt“ des Intendanten kostet Gesundheit.

Sie werden Udo Reiter in Leipzig trotzdem kein Denkmal bauen. Ob ihn das stört? Er weiß, was er geleistet hat. Udo Reiter steht in einer Linie mit den prägenden Intendanten seiner Generation: Jobst Plog, Peter Voß, Fritz Pleitgen, Ernst Elitz.

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