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Streit um ZDF-Chefredakteur: Karl-Theodor zu Guttenberg, hilf!

Steinbach vs. Westerwelle, Koch vs. Brender: Die Medien machen und brauchen die Bösen und die Guten.

Als Hysterie beschreibt man gemeinhin einen Gemütszustand, in dem die Emotionen überschießen und sich in dramatischen Affekten entladen. Dieser Befund trifft eindeutig auf zwei aktuelle Medienhypes zu – den Streit um die Aufnahme von Erika Steinbach (CDU) in den Beirat der Bundesstiftung „Flucht Vertreibung Versöhnung“ und auf die Verlängerung des Chefredakteursvertrags von Nikolaus Brender, über den heute der Verwaltungsrat des ZDF zu befinden hat.

Von ihrem Naturell her sind beide Protagonisten ähnlich: Unbeugsam, bis zur Selbstgerechtigkeit überzeugt von der eigenen Sache, streitlustig und ausgestattet mit Nerven wie Stahl. Dass solche Charaktere in einer Welt der Runden Tische mit ewiger Konsens-Eierei auf Widerstand stoßen, ist quasi naturgegeben, und dass die Medien die Schaukämpfe genussvoll befeuern, ist eine Branchenkrankheit. Wie in jedem trivialen Fernsehspiel gibt es Gute und Böse. Die Rollen der Bösen sind mit Steinbach und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) besetzt, die Guten geben Brender und Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Wobei in dem Dramolett um den Vertreibungsrat verwundert, dass der Vorsitzende einer Partei, die vor nicht allzu langer Zeit noch mit antisemitischen Ressentiments jonglierte, seiner Gegenspielerin unter dem Beifall einer Ökumene aus Sozialdemokraten, Linken und Liberalen unwidersprochen vorwerfen kann, dass sie in grauer Vorzeit gegen den deutsch-polnischen Grenzvertrag stimmte. Wer sich selbst vergibt, der sollte auch anderen vergeben können.

Da es in diesem Spiel um gut und böse geht, lassen sich auch Kommentatoren ungern durch Argumente beirren. Gegen den polnischen Anti-Steinbach-Furor wäre ja anzuführen, dass es ihr durch ihre nervende Hartnäckigkeit gelungen ist, die von Adenauer und von Willy Brandt („Verzicht ist Verrat“) radikalisierten Vertriebenen auf den Boden der Tatsachen geführt zu haben. Schon der Anstand geböte es, der Frau, die zusammen mit Peter Glotz (SPD) die Idee zu der Versöhnungsstiftung geboren hat, diesen Beiratsplatz zuzugestehen.

Frau Steinbach hat die unglückliche Angewohnheit, sich selber in eigener Sache zu melden. Nikolaus Brender verhält sich geschickter. Er schweigt. Er ist Hauptdarsteller, aber überlässt die Sprechrollen anderen. Er wäre der ideale Medienberater für Erika Steinbach. Brenders Vorteil: Sein Gegner, der in der Rolle des Bösen geübte Roland Koch, bietet kein Argument, das irgendwie standhält. Dass Brender die Marktanteile der Nachrichten des ZDF gemessen an RTL in den Keller gefahren habe, lässt sich mit Zahlen kaum belegen. Wenn die „heute“-Sendung einen natürlichen Feind hat, dann ist es ihr Werbeumfeld, das jeden, der nicht unter Blasenschwäche, Arthritis oder Krampfadern leidet, zum Umschalten zwingt. Aber dafür kann der schweigende Brender nichts.

Beim medialen Großeinsatz für ihn sonnt sich jeder Journalist, der im eigenen Blatt schon vor dem Ressortleiter zusammenzuckt, in Selbstbewunderung für seinen Mut. Und die beim Privatfernsehen reiben sich die Hände, denn jeder Krach bei den Öffentlich-Rechtlichen stärkt automatisch ihre Position in der Medienpolitik. Dass ZDF-Intendant Markus Schächter, wenn er eine Mediathek oder ZDFneo durchsetzen will, die zuständigen Ministerpräsidenten schon mal bei sich am Gremientisch versammelt, ist ein Vorteil, um den Private und ARD das ZDF seit seiner Gründung beneiden. Weniger Politiker in den Gremien würde das ZDF – so befremdlich es klingen mag – auf Dauer schwächen. Aus diesem Grund wird Schächter auch heute flehen: „Lieber Gott, mach bitte, dass keiner vors Bundesverfassungsgericht geht.“

Muss auch nicht! In der Reihe der 35 professoralen Verfassungsschützer, die für Brender und für einen Richterspruch aus Karlsruhe votieren, fehlen einige, die etwas mehr von der Sache verstehen. Zum Beispiel Ernst Gottfried Mahrenholz, Dieter Grimm und Gernot Lehr. Der hat darauf verwiesen, dass aufgrund der Rechtslage der für die Programmkontrolle berufene Fernsehrat den Verwaltungsrat schon jetzt in die Schranken weisen könnte. Es fehlt nicht an Paragrafen, es fehlt am Mumm. Wobei eine Paragrafenänderung den Mumm des Fernsehrats tatsächlich stärken könnte: Die Vertreter der sogenannten gesellschaftlichen Gruppen werden jetzt von den Ministerpräsidenten berufen. Könnten die Verbände ihre Vertreter in eigener Verantwortung entsenden, würde der parteipolitische Proporz zurückgedrängt, obwohl die Verbandsvertreter auch dann keine politischen Neutren wären.

Mit Blick auf beide Medienhypes gäbe es aber eine Möglichkeit, die Fälle Steinbach und Brender unter dem Beifall der Medien überzeugend zu beenden. Gerade wurde Karl-Theodor zu Guttenberg mit dem „Politikaward 2009“ zum Politiker der Jahres gekürt. Der CSU-Mann würde sowohl als ZDF-Chefredakteur (ideale Bildschirmpräsenz, geeignet für Interviews in allen lebenden Sprachen, charmanter Umgang mit Mitarbeitern) als auch als Ersatzmann für Frau Steinbach bella figura machen. Heimatvertriebener? Als Franke ohne eigenes Bundesland gilt er unter Preußen wie Bayern ohnehin als heimatlos.

Der Autor war Gründungsintendant des Deutschlandradios.

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