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Medien: Sunset Hall: Wo sind sie geblieben?

"Als ich jung war, war ich radikal", sagt Leah und nickt eifrig. Jetzt arbeite sie nur noch an einer "Demokratie für alle".

"Als ich jung war, war ich radikal", sagt Leah und nickt eifrig. Jetzt arbeite sie nur noch an einer "Demokratie für alle". Die Augen funkeln, der Idealismus ist sichtlich ungebrochen. Leah ist 88 Jahre alt, und die Finger der Pianistin huschen noch immer behände über die Tasten.

Sunset Hall ist ein höchst eigenartiges, kleines Altersheim mitten in einem wenig feinen Stadtteil von Los Angeles. Es wurde 1924 von Freidenker-Frauen gegründet und beherbergt bis heute politisch und sozial engagierte Persönlichkeiten. Die 28 Bewohner sind zwischen 80 und 100 Jahre alt, vorwiegend weiblich und jüdischer Herkunft. Abends sitzen sie zusammen, verzichten auf Fernseh-Shows und Soap-Operas und diskutieren sich lieber die Köpfe wund. Wie ist das mit Haider in Österreich - droht da ein neuer Holocaust? Und der Wahlkampf - wird er nicht immer gemeiner?

Der 90-jährige Frank mit seiner Schiebermütze und den verschmitzten Äuglein zieht über den Kapitalismus her und analysiert präzise, warum das System verfallen muss - er ist ein bekennender Marxist und das bis heute. Die 94-jährige Lucille, ganz Dame in Lila mit aufwendig ondulierter Perücke über dem edel konturierten Gesicht, outet sich als Fan des Parlamentskanals, den sie manchmal schon morgens um fünf Uhr einschaltet. Viele von ihnen hatten in den 50er Jahren mit dem McCarthy-Ausschuss zu tun. Als Elia Kazan den Ehren-Oscar erhielt, nahmen sie an einer Demonstration dagegen teil: Er verriet Kollegen. Voller Unternehmungsgeist tappen diese Alten durch die Gegenwart, auch wenn die Beine nicht mehr so recht wollen. Mit hellwachem, ungebrochen kritischem Geist genießen diese "Infanteristen der amerikanischen Linken" den Sonnenuntergang ihres Lebens, lachen, streiten, feiern, machen Gymnastik und Ausflüge, lassen sich von den jungen Aktivisten auf den neuesten Stand der Dinge bringen und denken nicht im Traum an Resignation. Der Film von Uli Aumüller und Annelie Runge (Arte, um 22 Uhr 05) begleitet diese ungewöhnlichen Alten mit zärtlicher Empathie.

Nur eines stimmt bedenklich: Sie haben ziemlich arge Nachwuchssorgen. Wo sind sie geblieben, die ungebrochenen Kämpfer der Linken? Sterben sie vielleicht ganz langsam aus?

Mechthild Zschau

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