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Medien: Tage und Nächte und Menschen

Radikal subjektiv: Georg Stefan Troller sucht sein Paris in Mythos und Gegenwart

Ja, er zeigt auch das „Lido“, hinter der Bühne die vielen fast nackten Frauen mit ihren riesigen Federn auf dem Kopf. Ein Film über Paris kommt halt nicht ohne diese Bilder aus. Denn ist Paris für uns nicht Montmartre und „Moulin Rouge“ und die rauchenden Clochards an der Seine? Georg Stefan Troller zeigt uns allerdings mehr als das Erwartete. Er lebt in dieser Stadt seit 45 Jahren, er liebt ihre Gesichter, ihre Atmosphären, ihre Szenerien. „Tage und Nächte in Paris“ ist ein Stadt-Portrait, das seinen Charme auch dadurch gewinnt, dass Troller seine Aufnahmen in Kontrast setzt mit eigenem Bildmaterial aus den sechziger Jahren.

Damals filmte sein Kameramann Maria Callas, auf dem vermutlich roten Teppich einer „Lido“-Premiere, gefolgt von dem Reeder Onassis, von Catherine Deneuve, der blonden Schönheit, Romy Schneider, Salvador Dali, Ingrid Bergman, sogar Elizabeth Taylor und Richard Burton. Eine beeindruckende Abfolge von Weltstars im Blitzlichtgewitter. Doch Troller feiert sie nicht überschwänglich, diese und andere Stars, die er seinerzeit vor die Kamera bekommen hat. Sie gehören für ihn einfach zu Paris, so wie vieles andere auch.

Sogar das hypermoderne Geschäftsviertel „La Défense“ ist Paris, das gibt Troller jetzt fast widerwillig zu. Früher hat er es für einen müden Abklatsch von Manhattan gehalten. „Inzwischen hat es sich durch geschwungene Linien, Schrägen und Pyramiden in etwas ganz Eigenständiges verwandelt“, sagt Troller. Seine Liebe aber gehört dem historisch Gewachsenen, den alten Arbeiterquartieren, die er filmisch noch einmal zitiert; sie sind längst abgerissen. Wenn man an die hygienischen Zustände der lange vernachlässigten Viertel denkt, ist es nicht schade drum - doch Troller ist Augenmensch, er vermisst die alten Treppen, die die Hügel hinaufführten, und nennt sie den „Höhenkurort der Armen“.

Eine Zeitreise ist dieser Film durch die Aufnahmen aus den 60er Jahren, als Troller für die ARD die Sendereihe „Pariser Journal“ realisierte. Damals entwickelte Troller seinen radikal subjektiven Stil des dokumentarischen Arbeitens. Troller fand poetische, träumerische Bilder wie die von den alten Schiffen in Seitenarmen der Seine, auf denen Schifferfamilien lebten. Vieles von dem Malerischen, das Paris einst ausmachte, ist verschwunden. Doch Troller ist noch immer neugierig auf diese Stadt. Wenn er ein kleines Theater zeigt, in dem alte Paare einander auf der Bühne ausziehen, dann ist das nur ein klein bisschen voyeuristisch, es behält sogar etwas Anmut und provoziert – Rührung.

Wir sehen die Inlineskater, die jede Freitag Nacht einige Straßen für sich haben, und hinter ihnen, angestrahlt, die Wahrzeichen der Stadt: Eiffelturm, Notre Dame, Champs Elysees. Eben beiläufig, so wie Troller Berühmtheiten behandelt. Vielleicht sprechen sie deshalb so intensiv zu ihm. Juliette Gréco, die Sängerin, zeigt er an der Seite ihres Ehemanns Michel Piccoli, damals in den sechziger Jahren. Und wir sehen sie heute, natürlich gealtert. Ihre Jugend, zitiert Troller sie, habe sie nicht verloren, sie trage sie in sich. Wie ist diese Jugend? „Verrucht“, antwortet Juliette Gréco mit einem Lächeln, „verrucht, gewalttätig, leidenschaftlich und voller Lachen“. Ein Bild von Paris. Auch Troller, der über achtzigjährige Beobachter, trägt seine Jugend in sich.

„Tage und Nächte in Paris“, ARD, um 23 Uhr 15

Eckart Lottmann

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