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Musik nur, wenn sie laut ist. Für den neuen Kölner „Tatort“ wurde eigens ein „Tango Colonuevo“ komponiert. Der vom Blues geplagte Kommissar Freddy Schenk (Dietmar Bär, 2. von rechts) bewegt sich aber auch zu anderen Rhythmen.

© ARD

Tatort aus Köln: Das ehrenwerte Haus

Ein verletzter Obdachloser bittet im Kölner „Tatort“ vergeblich um Hilfe. Während Max Ballauf aus Wiedergutmachung ermittelt, plagt Kommissar Freddy Schenk der Blues.

In diesen unruhigen „Tatort“-Zeiten, die geprägt sind durch das Kommen und Gehen verschiedener Teams, braucht man auch etwas Beständigkeit. Einen vertrauten Hafen mit immer denselben, schon leicht verknitterten Gesichtern. Womit wir in Köln wären, bei Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär), diese sympathischen, gegen allerlei soziale Missstände ermittelnden Kommissare mit dem gelegentlichen Hunger auf Kölsch und Currywurst.

Aber sogar in Köln bleibt nicht alles, wie es ist. Seit Tessa Mittelstaedts Ausscheiden im tödlichen Knast-Kammerspiel „Franziska“ gaben sich bereits zwei Assistentinnen und ein Assistent die Klinke in die Hand. Heimisch geworden ist niemand. Deshalb ist in der neuen Folge „Freddy tanzt“ das Chaos perfekt: Die Milch wird ranzig, der Kaffee ist alle. Denn Ballauf und Schenk sind immer noch auf sich allein gestellt. Außerdem hat diesmal der bodenständige Schenk den Blues, nicht wie sonst Ballauf.

Schenk flirtet und tanzt, Ballauf bekommt eine Rückenmassage

In ihrem 62. Fall seit 1997 müssen die Kölner den Tod eines Obdachlosen aufklären. Daniel Gerber (Matthias Reichwald) bewirbt sich mit sauberen Klamotten aus seinem Rucksack als Bar-Pianist. Doch obwohl er sein Können durchaus beweist, wirft ihn der Barkeeper schon bald wieder raus. In der Bar herrscht ohnehin eine angespannte Atmosphäre. Drei junge Banker benehmen sich an der Theke laut und ungehobelt und lästern auch über den Pianisten. Kurz nach Gerber fliegen die Schnösel ebenfalls aus dem edlen Etablissement. Mehrere Tage später wird die Leiche des brutal zusammengeschlagenen Obdachlosen entdeckt. Allerdings weit entfernt von der Bar. Und auch weit entfernt von dem Haus, an dessen Eingangstür er kurze Zeit nach seinem Rausschmiss blutüberströmt geklingelt hatte. Die Frage in diesem „Tatort“ lautet deshalb nicht nur, wer zugeschlagen hat, sondern auch, wer dem Obdachlosen seine Hilfe verweigerte – und warum.

Ein hochmoralisches Thema also: Es geht um Nachbarschaft und Mitmenschlichkeit, um die Bereitschaft, füreinander einzustehen oder die Augen zu verschließen. Eine eigentümliche Atmosphäre herrscht in diesem Haus mit dem schwerhörigen Rentnerpaar im Erdgeschoss (wunderbar: Gudrun Ritter, Theo Pfeifer), dem ehrgeizigen Eishockeytrainer und der sich verbarrikadierenden Übersetzerin. Und dann sind da noch die alleinerziehende Künstlerin Claudia Denk (Ursina Lardi), die abends häufig unterwegs ist, und ihre kleine Tochter. Grimme-Preisträger Andreas Kleinert (52) inszeniert dieses „ehrenwerte Haus“ (Zitat Schenk) nicht wie einen sozialen Brennpunkt, sondern vielmehr wie einen geheimnisvollen, leicht surrealen Ort. Mit geräumigen Wohnungen, die sich hinter Gittern und Stahltüren verbergen und deren Bewohner seltsam, bedrückt oder zumindest zugeknöpft wirken. Die Spannung gewinnt der Film weniger aus der Täter- denn aus der Motivsuche und den inneren Konflikten der Figuren. Sie alle haben ihre Gründe.

Für den neuen "Tatort" wurde eigens ein Tango komponiert

Überzeugend erzählen Regisseur Kleinert und Drehbuchautor Jürgen Werner außerdem, wie der Fall die Ermittler persönlich bewegt. Ballauf hat sich nicht gerade angestrengt, als ihn seine Nachbarin, Daniels Mutter, um Hilfe wegen ihres verschwundenen Sohnes bat. Das will er später wiedergutmachen – und verhebt sich buchstäblich dabei. Weshalb Marita Gerber (Lina Wendel) den Rücken des Kommissars kraftvoll bearbeitet – endlich mal eine skurrile Szene für Ballauf!

Bei Schenk wird’s sentimental. Der füllige Ermittler, bisher als Familienmensch und treuer Ehemann die Konstante im Kölner „Tatort“-Duo, ist von Künstlerin Denk ganz hingerissen. Das wird ein schöner, aber auch schmerzhafter Flirt. Wenn Dietmar Bär gegen Ende ganz selbstversunken tanzt, lernt das Publikum tatsächlich eine neue, gefühlvolle Seite des braven Freddy kennen.

Doch nicht nur deshalb ist „Freddy tanzt“ ein besonders musikalischer „Tatort“. Sogar die Klassik hat Platz in Kleinerts vielseitiger Stückauswahl. So kann der WDR sein Funkhausorchester und seinen Großen Sendesaal endlich einmal Millionen TV-Zuschauern präsentieren. Zum Abschluss wird der von Frank Heckel eigens für diesen „Tatort“ komponierte „Tango Colonuevo“ gegeben. Köln muss eben nicht zwangsläufig nach Karneval und Veedels-Romantik klingen.

„Tatort: Freddy tanzt“, ARD, Sonntag, 20 Uhr 15

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