zum Hauptinhalt

Medien: US-Präsidentschaftswahl: Gore, Bush und die Medien

Am Dienstag wird Bill Clintons Nachfolger gewählt, in den Zeitungen ist die Schlacht aber bereits geschlagen: Kurz vor einer Wahl ist es in den USA üblich, dass sich die Zeitungen per Leitartikel für den einen oder anderen Kandidaten aussprechen. Diese "Endorsements" flattern den US-Bürgern in diesen Tagen auf die Frühstückstische.

Am Dienstag wird Bill Clintons Nachfolger gewählt, in den Zeitungen ist die Schlacht aber bereits geschlagen: Kurz vor einer Wahl ist es in den USA üblich, dass sich die Zeitungen per Leitartikel für den einen oder anderen Kandidaten aussprechen. Diese "Endorsements" flattern den US-Bürgern in diesen Tagen auf die Frühstückstische. Und die beiden in Sachen Meinungsbildung wichtigsten Tageszeitungen, "Washington Post" und "New York Times", haben sich für Al Gore ausgesprochen. "Bushs Lebenslauf ist zu dünn, als dass die Nation das Wagnis eingehen könnte, darauf zu setzen, dass er irgendwann die Führungskraft entwickelt, die bereits zu haben er behauptet", stand in der "Times". Gore hingegen sei der Mann, der zu "Herrn Clintons Exzessen" keine Verbindung habe: "Wir glauben, dass er nie Bill Clintons Beispiel rücksichtslosen Verhaltens, das die Präsidentschaft entwürdigt, folgen würde."

"Times" und "Post" haben ihre Unterstützung für Gore mit scharfen Attacken gegen den Grünen-Kandidaten Ralph Nader kombiniert. Nader könnte Gore durchaus den Sieg kosten. Die "Times" hat ihm deshalb vorgeworfen, egoistisch zu sein, und in der "Post" stand vergangenen Dienstag: "Nader liegt falsch, wenn er abstreitet, durch seine Kandidatur für das mögliche Ergebnis der Wahl - einen Sieg Bushs - verantwortlich zu sein."

Die "Endorsements" erhärten in den Augen der Bush-Anhänger den Verdacht, die Ostküsten-Intellektuellen seien schlicht zu arrogant, um die Anziehungskraft eines volkstümlichen Populisten aus Texas zu erkennen. Karl Rove, Bushs Chef-Stratege, tut die Empfehlungen von "Post" und "Times" ab: "Das hat uns nicht sehr überrascht." Rove weist darauf hin, dass alle drei Zeitungen in Chicago sich für Bush ausgesprochen haben. Blickt man auf die Landkarte, fällt in der Tat auf, dass sich Ostküstenzeitungen mehrheitlich für Gore einsetzen, während im Rest des Landes Bush die Nase vorn hat.

Was die "Endorsements" in der Schlussphase des Wahlkampfes wirklich wert sind, ist indes nicht ganz klar. Einer Erhebung der "Columbia School of Journalism" in New York City zufolge wissen nur 25 Prozent aller US-Zeitungsleser, für welchen Präsidentschaftskandidaten sich ihr Blatt ausgesprochen hat. Die Bedeutung der Meinungsseiten beschränke sich auf Symbolisches und auf Profi-Kreise, glauben die New Yorker Medien-Forscher.

Wenige Tage vor der Wahl beschäftigt die linksliberale Presse aber auch die eigene Ethik: Woher kommen die Skrupel, George W. Bush als das zu bezeichnen, was er ihrer Ansicht nach ist - nämlich ein dummer Provinzler ohne Erfahrung? "Dass Journalisten zögern, jemanden, der unser nächster Oberbefehlshaber sein könnte, einen Deppen zu nennen, ist verständlich", schreibt Michael Kinsley, der Chefredakteur des Online-Magazins "Slate". "Aber falls Bush kein Depp ist, ist er ein Mann von eindrucksvoller intellektueller Unehrlichkeit oder Verwirrtheit."

In "Salon", einem anderen Internet-Politikmagazin, schreibt Todd Gitlin: "Bush beweist immer wieder, dass er nicht nachdenkt. Journalisten ist es offenbar peinlich, mit dem Finger auf ein Nichts zu zeigen, das kurz vor dem Einzug ins Weiße Haus steht." Der "International Herald Tribune" beschwert sich: "Ein falsches Verständnis von Fairness verhindert, dass das Offenkundige über Bush geschrieben wird: Dass er für die Präsidentschaft ungeeignet ist."

Kommentatoren bringen die angebliche Zurückhaltung der US-Presse mit deren Urängsten in Verbindung. Amerikas schreibende Zunft fürchtet, das Stereotyp von der linksliberalen, snobistischen Ostküstenelite zu nähren. Die scharfen Bush-Kritiker werfen ihren Kollegen vor, aus falsch verstandener Rücksichtsnahme auf den Mann auf der Straße Urteile nicht zu fällen, für die die Beweislage offenkundig sei. Auch eine historische Erfahrung mag erklären, warum Bush meistens nicht hart angegangen wird. Vor 20 Jahren schickte sich ein Mann an, Präsident zu werden, den die meisten Journalisten für einen minderbemittelten Hilfsschauspieler hielten. Der Mann hieß Ronald Reagan und wurde Präsident. Den Menschen am Lande waren die Empfehlungen der Redaktionen nämlich egal.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false