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Verwickelt: Erwachsen auf Probe - massive Kritik

RTL erregt mit der neuen Sendung "Erwachsen auf Probe" sehr viel Aufmerksamkeit - und stößt auf massive Kritik.

Die 14 Monate alte Zoé-Marie muss gewickelt werden. Der 17-jährige Elvir ist sichtlich überfordert, lässt das Kleinkind sogar auf dem Wickeltisch für einen Augenblick allein, um irgendetwas zu holen. Die anwesende Erzieherin springt dazu, auch die Eltern, die das Geschehen vom Nachbarhaus aus am Monitor verfolgten, greifen ein. Zoé-Marie ist nichts geschehen und wird erst einmal aus der Obhut von Elvir und seiner Freundin Nadine, 18, herausgenommen. Das ist gerade noch mal gut gegangen.

Von RTL kann man das nur bedingt behaupten. Das Coaching-Format „Erwachsen auf Probe“ kann sich zwar über öffentliche Aufmerksamkeit bereits vor der Ausstrahlung ab dem 3. Juni nicht beklagen, ist dabei aber auf massive Kritik gestoßen. Gestern hatte der Sender nach Köln zu einer Vorführung eingeladen, an der neben Pressevertretern auch einige der Kritiker teilnahmen. Und die kamen nach Ansicht der kompletten zweiten Folge des Siebenteilers zu wenig schmeichelhaften Urteilen: Eine Vertreterin des Kinderschutzbundes erkannte die „problematische Botschaft“, dass man Kinder wie Puppen versorgen und ruhigstellen könne, wenn man nur die richtige Gebrauchsanweisung kenne. Ein Vertreter des Verbandes der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst sprach gar von einem zynischen und menschenverachtenden Format, auch weil die Not und Verzweiflung von Jugendlichen zur Unterhaltung vorgeführt werde.

RTL-Unterhaltungschef Tom Sänger verteidigte erneut die Sendereihe, die zum Ziel habe, die zunehmende Zahl von Schwangerschaften bei Teenagern zum Thema zu machen. Im Jahr 2006 hätten 6100 Minderjährige ein Kind bekommen. Bei „Erwachsen auf Probe“ absolvieren vier Paare im Alter zwischen 16 und 19 Jahren eine Art Eltern-Schnellkurs. Sie leben in eigenen Häusern, müssen zur Arbeit gehen und testen ihre Eignung als Eltern einen Tag lang an einer elektronischen Puppe, einem „Baby-Dummy“, bevor ihnen echte Babys übergeben werden. Später sind sie auch als Eltern von Kleinkindern, Schulkindern und fast gleichaltrigen Teenagern gefordert. Die Dreharbeiten mit den Babys dauerten bis zu vier Tage, wobei sie zum überwiegenden Teil bei den wirklichen Eltern übernachteten.

Wie Produzent Holger Rettler in der Diskussion zugestand, ist der Zusammenschnitt im Fernsehen eher darauf aus, die Überforderung der jungen Eltern in den Vordergrund zu stellen. Tatsächlich sieht man in der gezeigten Folge die Paare häufig streiten. Allerdings gibt es auch Lob, etwa für den 16-jährigen Sebastian, der sich beim morgendlichen Wickeln der von ihm betreuten, sieben Monate alten Zwillinge tapfer schlägt. Eine der beteiligten Mütter betonte gestern in Köln, dass sie ihr Kind im Zweifel natürlich nicht habe weinen lassen. „Das wird hier etwas dramatischer dargestellt“, sagte sie. Zusätzlich waren nach RTL-Angaben eine Erzieherin, eine Kinderkrankenschwester und eine Psychologin anwesend.

Das Privatfernsehen, namentlich RTL, kümmert sich ja gerne, schickt Schuldenberater oder Restauranttester los, gibt auch seit Jahren mittels „Super Nanny“ Katharina Saalfrank Erziehungstipps, oder bändigt „Teenager außer Kontrolle“. Dieses sogenannte „Coaching TV“ hat einen regelrechten Boom erlebt. Das Erfolgsrezept besteht vor allem darin, reale Fälle gefühlsbetont zu erzählen. Niemals jedoch wurden bisher Babys zu Fernsehzwecken „getauscht“ oder „verliehen“. Dass RTL dabei auf ein Format ausgerechnet der öffentlich-rechtlichen BBC zurückgreift, konnte die Kritiker nicht besänftigen. Das 2007 bei BBC 3 ausgestrahlte „Baby Borrowers“ hatte anfangs ebenfalls Proteste ausgelöst, doch die Aufregung legte sich rasch. Am Ende forderten angeblich ein Drittel aller britischen Schulen die von BBC zu der Reihe angebotenen Lehrmaterialien an. Auch RTL will zu „Erwachsen auf Probe“ Lehrmaterial verteilen.

Dennoch wäre die Frage, welchen Wert „Coaching“-Formate haben und in welcher Weise Kinder und Jugendliche dabei eingesetzt werden sollten, eine grundsätzliche Debatte wert. So muss man sich bei „Erwachsen auf Probe“ wohl weniger um die Babys Sorgen machen als um die Teenager, über die hier womöglich ein wenig vorschnell ein Urteil gefällt wird. Das Privatfernsehen als Ratgeber-Instanz hat da so seine eigenen Methoden. Als „Expertin“ taucht bei „Eltern auf Probe“ Katja Kessler auf, die zwar Mutter von vier Kindern ist und einen Erziehungs-Ratgeber geschrieben hat, aber hier wohl auch aus anderen Gründen zum Einsatz kommt: als prominente Klaschjournalistin, Dieter-Bohlen-Biografin und Ehefrau von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann. Das Boulevardblatt hielt sich im Streit um „Erwachsen auf Probe“ auffällig zurück.

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