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Matthias Matschke, 42. Seine Stärke sind die schwachen, hilflosen Figuren. Im „Tatort“ spielt er einen Ex-Polizisten, der Kommissar Borowski auf die Nerven geht.

© NDR

Von "Pastewka" zum "Tatort": Das Improvisationstalent

Matthias Matschke hasst Witze und ist trotzdem Komiker. Doch auf die Rolle des Quatschkopfs lässt er sich nicht festlegen. Jetzt spielt er im Kieler „Tatort“ mit.

Freitagnacht, in der Berliner Schaubühne herrscht Clubatmosphäre. Ein Mann im grauen Anzug, in weißen Turnschuhen und mit Gitarre um den Hals tritt auf die Bühne: „Herzlich willkommen! Ich bin Matthias Matschke. Ich bin bekannt aus Film, Funk und Fernsehen.“ Die Leute jubeln.

Der Schauspieler Matthias Matschke hat zur Stand-Up-Comedy eingeladen. Er erzählt Geschichten von blinden Taxifahrern, Versicherungsvertretern, Nazis in Hoyerswerda und dem männlichen Glied als Navigationssystem. „Die Schaubühne“, teilt er mit, „ist der FC Bayern der Theaterlandschaft: Jeder Einzelne ist ein Star, aber zusammen sind wir scheiße.“ Er singt, nimmt verschiedene Rollen ein, verzieht sein Gesicht unter dem in die Stirn gekämmten Seitenscheitel. Matthias Matschke weiß, wie man amüsiert. Er spielt im Fernsehen zusammen mit Bastian Pastewka in der Sat-1-Comedy-Show „Pastewka“ und mit Anke Engelke in „Ladykracher“. Er tritt im „Quatsch Comedy Club“ und in der „Bar jeder Vernunft“ auf. Er sagt: „Schon, als man mich an der Schauspielschule fragte, was ich denn später mal so machen wolle, habe ich geantwortet: Ich möchte eigentlich Komiker sein.“

Zum Interview hat Matthias Matschke außer seinem Namen nichts Komisches mitgebracht. Keine 70er-Jahre-Frisur, keine Grimassen, keinen Lieblingswitz. „Ich hasse Witze“, sagt er, „die finde ich furchtbar, außerdem kann ich mir keine merken.“ Viel lustiger hingegen findet er die Rentnerehepaare, die um ihn herum im Café am Lietzensee sitzen, immer nebeneinander, sprachlos und mit Blick auf die Gänsekeule. Sie erinnern an die Sketche, wie Loriot sie geschrieben hat. Matthias Matschke hat sie oft in seiner Schulzeit nachgespielt. „Loriot war mein Unterricht“, sagt er, „seine Sprüche haben alle Jungs in meiner Generation draufgehabt.“

1968 wurde Matthias Matschke in Marburg geboren. Sein Vater war Diplomingenieur, seine Mutter Religionslehrerin. In der Schule war er kein Klassenclown, aber er spielte gern. Besonders die Rolle des verwundeten Indianers hatte es ihm angetan, das Zusammensacken nach dem Schuss, das Verschränken beider Hände übers Herz und das Fallen vom Pferd. Diese Szene spielt er noch immer, sie ist auch Teil seines Comedyprogramms, sie heißt: „Ich bin getroffen“. Nach dem Zivildienst bewarb er sich an der Otto-Falckenberg-Schule in München, wo er es immerhin bis in die dritte Runde schaffte. Als er dann durchfiel, fing er ein Lehramtsstudium für die Fächer Deutsch und Religion in Frankfurt an. Er sagt: „Ich dachte, wenn die mich in München ablehnen, dann heißt das auch, dass ich niemals Schauspieler werden kann.“

Matthias Matschke wäre bestimmt ein guter Lehrer geworden. Er wirkt ausgeglichen und geduldig. Er ist das Gegenteil von einem Quatschkopf. Er nimmt die Dinge, die er tut, ernst. „Der Auftritt selbst“, sagt er, „macht ja im Prinzip einen geringen Teil des Berufs aus und ist fast schon Entspannung. Aber Texte lernen und Proben sind total anstrengend.“

Während seines Lehramtsstudiums sollte er einmal für eine Stunde eine 6. Klasse unterrichten. Das Thema lautete „Christianisierung des Römischen Reichs“. Er verfasste einen Plan darüber, wie er sich die Stunde vorstellt. 20 Seiten mit Skizzen, Symbolen, Methoden. Seine Mutter sagte zu ihm: „Aber Matthi, das reicht ja für vier Stunden, das nächste Mal genügen zwei Seiten.“ Als er dann vor der Klasse stand, kippte plötzlich alles weg, was er sich ausgedacht hatte. Ein Schüler war auf das „Svastika“-Symbol, das Kreuzzeichen, gestoßen. Sie haben die ganze Stunde über dessen Bedeutung im Dritten Reich gesprochen. Damals hat Matthias Matschke gelernt, dass man nie weiß, wo ein Publikum gerade hinläuft. Dass man improvisieren muss, und dass Entertainment bedeutet, immer ein paar Schritte schneller zu sein.

Als er 24 war, studierte er doch noch Schauspiel an der Universität der Künste in Berlin. Ein Kommilitone schickte ihn in die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Christoph Marthalers Inszenierung von „Murx den Europäer!“ erlebte er als „Initiationsmoment“. Humor im Umgang mit Wirklichkeit – darin sah er seinen Weg. Dass er ein paar Jahre später mit diesen Typen und unter dem gleichen Regisseur auf derselben Bühne stehen durfte, war für ihn wie ein „Geschenk“. Sein Name galt ab da an nicht selten als Synonym für einen komischen Abend.

Matthias Matschke hat schmale Lippen und eine hochstehende Nase. Sein Kinn schmückt ein großes Grübchen. Wenn er sich seine Haare in die Stirn schiebt und die Augenbrauen hochzieht, sieht er aus wie ein trotziger Junge, der versucht, sich in sich selbst zu verkriechen. Oft sind es diese hilflosen Figuren, die er spielt: der Gedemütigte, der Verschmähte, der Beleidigte. Figuren, deren Komik dadurch entsteht, dass sie nichts zu lachen haben. In der Comedyserie „Pastewka“ spielt er Bastians Bruder Hagen, einen alleinerziehenden Vater mit Geldsorgen und auf der Suche nach der richtigen Frau. Die Figur hat ihn auf der Straße bekannt gemacht – „Eh, ich kenn dich, du bist doch der Pastewka.“ Dabei hatte seine Agentur vor zehn Jahren die Rolle erst für ihn abgesagt. Mittlerweile steckt sein Herzblut darin. Genauso gern, sagt er, spiele er aber auch Rollen, in denen er nicht so komisch sei.

Matthias Matschke klappt seinen Computer auf. Er zeigt Fotos, die er gemacht hat. Von Kollegen, von Freunden, von Reisen. Seit zwei Jahren ist er Fotograf, er plant sogar eine eigene Ausstellung. Es sind schöne Porträts, von seiner Frau, der Schauspielerin Judith Engel, von Bastian Pastewka, von Axel Milberg. Mit ihm stand er zusammen für den Kieler Tatort „Borowski und der vierte Mann“ vor der Kamera, der am Sonntag in der ARD läuft. Darin spielt er einen ehemaligen Polizeibeamten im Rollkragenpullover, der an einem Bootssteg Bilder malt. Dort sind in einer Drehpause auch die Fotos entstanden. Sie zeigen einen tanzenden Axel Milberg. „Er ist sehr witzig“, sagt Matthias Matschke über ihn, „aber er spielt eben auch einen Kindsmörder oder einen Kommissar. In gewisser Weise ist er ein Vorbild, wie man in verschiedenen Charakteren zu Hause sein kann.“

Auf einer anderen Aufnahme ist Matthias Matschke selbst zu sehen. Er steht vor einer gemusterten Tapete und schaut in den Spiegel. In den Händen hält er die Kamera, deren Objektiv den Punkt sucht, in dem er am besten ins Bild passt. Das Foto zeigt ihn vom Kopf bis zu den Schultern. Genau genommen beschreibt es den Beruf des Schauspielers: Was bleibt, ist immer nur ein Ausschnitt.

„Tatort: Borowski und der vierte Mann“, Sonntag 20 Uhr 15, ARD

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