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Medien: Was war für Sie das wichtigste Fernsehereignis 2001?

Lutz Hachmeister, Autor, Filmemacher, Medienberater: Für mich waren zwei Ereignisse bedeutsam: Einmal der Rücktritt von Thomas Haffa als Vorstandsvorsitzender bei EM.TV, weil dadurch die Mischung aus Größenwahn und Betrug, die in der New Economy herrschte, aufgezeigt wurde.

Lutz Hachmeister, Autor, Filmemacher, Medienberater: Für mich waren zwei Ereignisse bedeutsam: Einmal der Rücktritt von Thomas Haffa als Vorstandsvorsitzender bei EM.TV, weil dadurch die Mischung aus Größenwahn und Betrug, die in der New Economy herrschte, aufgezeigt wurde. Und zum Zweiten die verpatzte Intendantenwahl beim Zweiten Deutschen Fernsehen. Die zeigte, dass sich Medienräte und Politiker nicht einmal die einfachsten Termine merken können. Beide Ereignisse stehen für ein Jahr der heilsamen Ernüchterung.

Zum Thema Jahresrücklick 2001: Bewegende Bilder eines außergewöhnlichen Jahres Gerhard Löwenthal, Journalist: Die entsetzlichen Bilder vom Massenmord in New York und Washington am 11. September haben sich so tief in mein Bewusstsein eingegraben, dass ich mir selbst die diversen Jahresrückblicke - sonst ein Muss für einen politischen Journalisten - nicht angesehen habe. Ich habe diesen Tag und die folgenden fast ununterbrochen live bei CNN verbracht, wobei sich nicht nur der Zorn über die fanatisierten religiös-fundamentalistischen Mörder steigerte, sondern die bei mir sowieso schon vorhandene Verbundenheit mit den USA und den Amerikanern - von 1945 bis 1954 arbeitete ich beim RIAS - sich noch mehr festigte. Denn wir Deutsche verdanken die Einheit vor allem den amerikanischen Präsidenten Ronald Reagan und George Bush senior. Das unmittelbare Erleben dieses Morddramas im Fernsehen hatte auch zwei weniger grausame Aspekte: die Bestätigung der Erkenntnis der ungeheuren Entwicklung der Kommunikationsmöglichkeiten, die den Zuschauer sozusagen am Tatort dabei sein lassen; zweitens, dass es die Grausamkeit des Erlebten verbietet, den im Grunde verharmlosenden, weil politisch missbrauchten Begriff Terrorismus zu benutzen, sondern es als das zu bezeichnen, was es wirklich ist: Mord, nein Massenmord.

Tita von Hardenberg, Moderatorin und Produzentin: Das Großartigste war wirklich der Heulkrampf von Verona Feldbusch in der "Johannes B. Kerner Show". Ich fand es unglaublich, wie sie so völlig übergangslos von fröhlichem Geplänkel zu Nicht-mehr-zu-beruhigen wechselte. Und das Tollste überhaupt war doch, wie sie sämtlichen Tröstungsversuchen von Manager und Moderator standhaft trotzte, sich aber gleichzeitig weigerte, die Sendung abzubrechen. Das ist die wirklich hohe Schule im Umgang mit Medien.

Dieter Kosslick, Berlinale-Chef: "Die Manns - ein Jahrhundertroman" mit Armin Mueller-Stahl in dieser unglaublich geschickten Montage von Heinrich Breloer waren mein persönliches Fernseh-Highlight. Die Collage-Methode, die Breloer und Königstein entwickelt haben, wurde hier zu ihrem vorläufigen Höhepunkt geführt. Dokumentarische Teile und Inszenierung sind sich extrem nah, und trotzdem ist die Inszenierung keine Imitation. Armin Mueller-Stahl imitiert den Thomas Mann ja nicht, er spielt ihn mit seiner eigenen Intimität. Jeder kennt ja ein Stück aus der Geschichte der Familie Mann, aber die ganze Geschichte in diesem unendlich komplexen Kaleidoskop zusammen geführt zu sehen, das war für mich wirklich faszinierend.

Else Buschheuer, Schriftstellerin: Ich habe eben in der Wanne versucht, mich zu erinnern, was vor dem 11. September im Fernsehen lief. Kein Schimmer. Also, klar, der 11. September. Ich hatte sozusagen den doppelten Film, circa eine Meile vom WTC entfernt in meinem Apartment in SoHo. Schreie, Lärm, Gestank, Angst direkt vor der Haustür, Endlosschleifen der in die Türme eintauchenden Flugzeuge im Fernsehen. Fraß sich wie Lauge in alle Sinne. Um ein Haar hätte mich dieser visuelle Supergau in den Wahnsinn getrieben. Tatsächlich hat er mich immerhin arbeitslos gemacht. Und zur Pazifistin. Und zutiefst misstrauisch, die manipulative Kraft der Bilder betreffend. Hätten Sie nach meinem schönsten Fernseherlebnis gefragt, dann hätte ich gesagt: Rudy Giuliani zu Gast bei Letterman. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

Wolfgang Menge, Drehbuchautor: Fernsehereignisse - außer dem 11. September?! Im Sommer vor zwei Jahren gab es nachts um zwei Uhr im Zweiten Deutschen Fernsehen mal Bobby McFerrin, wie er beim Bachfest in Leipzig die Leute dazu brachte, das Ave Maria zu singen. Nachts um zwei Uhr bringen die so etwas, ohne es je zu wiederholen! Einer der Höhepunkte in diesem Jahr: Harald Schmidt mit dem Jugendsinfonie-Orchester der Rheinischen Musikschule Köln - Stichwort: Pisa-Studie. Harald Schmidt versteht ja was von Musik. Die Kombination aus den üblichen Witzen, der Interpretation von Brahms und Sibelius und der gleichzeitigen Persiflage eines 90-jährigen ungarischen Stardirigenten, das war einfach gelungen.

Dietrich Schwanitz, Anglistik-Professor und Bestsellerautor: Schwer beeindruckt hat mich der Hechtsprung von Gräfin Pilati in die Arme des Verteidigungsministers Rudolf Scharping, der sich nicht mehr verteidigen konnte. Das war sozusagen das Twin-Ereignis auf der Ferieninsel Mallorca zu dem Twin-Towers-Ereignis in New York. Das eine brachte Rudolf Scharping an den Rand des Rücktritts, den er so standhaft verweigert hat, dass schließlich die Twin Towers ihn gerettet haben. Wollte man Friedrich Hölderlin profanisieren, dann könnte man jetzt meinen: "Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch."

Marietta Slomka, Moderatorin: Der 11. September. Klar. Und für mich persönlich: Der 29. Januar. Weil ich da zum ersten Mal das "heute journal" moderiert habe.

Klaus Staeck, Grafiker: Als auf sämtlichen Kanälen die Türme des World Trade Center aus immer neuen Kameraperspektiven zusammensanken, brachte Phoenix ausführliche Berichte aus und über Afghanistan, die auch dem Laien eine Chance gaben, Hintergründe und Ursachen der Terroranschläge zu verstehen. Aus jüngster Zeit in guter Erinnerung geblieben sind mir eine Reportage aus Palermo über das deprimierende Leben des Chefanklägers gegen die sizilianische Mafia, dem der italienische Staat langsam den Schutz entzieht, und die geglückte Verfilmung der Geschichte der Familie Mann, erst im Arte-Programm, dann in der ARD.

Christoph Schlingensief, Regisseur: Ich erinnere mich noch deutlich an die Bundestagsdebatte über den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr. Direkt nach dem Aufwachen habe ich morgens um acht Uhr den Fernseher eingeschaltet - und musste mich für mein neues Stück "Rosebud" belehren lassen, dass die von den Politikerfratzen hergestellte Oberfläche als Angriffsfläche wirkungslos ist. Gegenüber dem, was die Politik da an Sarkasmus und Zynismus präsentiert hat, ist jede künstlerische Provokation sinnlos. Der Bruch in der Oberfläche ist nur im poetischen Moment erkennbar. Und der vielleicht poetischste Moment in dieser Debatte war, als Fischer sein Wasserglas nahm und zitterte. Das ist für mich der Punkt, an dem noch eine Auseinandersetzung von Kunst mit Politik erfolgen kann. Für mich gibt es seit diesem Morgen keine Provokation mehr, sondern nur noch das, was man dafür hielt.

Lea Rosh, Publizistin: Als politisches Ereignis, das mich Tag und Nacht vor dem Fernseher festgehalten hat, war das natürlich der 11. September. Aber die wichtigste Fernsehproduktion des Jahres war ganz ohne Frage Breloers Dreiteiler "Die Manns". Die habe ich aufgezeichnet, und inzwischen schon mehrfach gesehen. Die Produktion ist hervorragend. Autor und Regisseur Heinrich Breloer hat die Ineinanderschachtelungen von Spielfilm und Realität zur wirklichen Meisterschaft gebracht. Ich finde zwar, dass Armin Mueller-Stahl zu weich und auch ein bisschen zu lieb ist für den spröden Thomas Mann, aber er spielt den Schriftsteller großartig. Einfach ein tadelloser, wunderbarer Fernsehfilm, den die ARD da gezeigt hat.

Alice Ströver, Staatssekretärin für Wissenschaft, Forschung und Kultur: Das wichtigste Ereignis des Fernsehjahres 2001 auch für mich war natürlich das, was für alle am wichtigsten war: die Angriffe am 11. September. Bei uns war es sehr extrem, weil wir alle zusammen in der Fraktionssitzung saßen, ich als Staatssekretärin und die Abgeordneten. Einer hatte sein Handy an und bekam per SMS die Nachricht von den Angriffen in den USA. Daraufhin haben wir die Sitzung sofort unterbrochen und haben den zweiten Turm des World Trade Center live im Fernsehen einstürzen sehen.

Bernd Schiphorst, Medienbeauftragter Berlin-Brandenburg: Niemand wird die bis zu diesem Tag unvorstellbaren TV-Bilder vom World Trade Center aus seinem Kopf verbannen können. Wenn ich jenseits dieser schrecklichen Stunden das Fernsehjahr 2001 Revue passieren lasse, dann war für mich das deutsche TV-Ereignis die Wiederentdeckung von Qualität mit Quote. Dass nicht nur im Seichten gut fischen ist, sondern auch Hochseeangeln große Akzeptanz findet, haben für mich unter anderem belegt: Jauchs Millionäre in RTL, die "Manns" in der ARD, "Der Tunnel" in Sat 1, Sandra Maischberger im Nachrichtensender n-tv, der anhaltende Erfolg von Sabine Christiansen, um nur einige hervorragende Beispiele zu nennen. Und nebenbei freut mich, dass drei dieser genannten Beispiele einen unmittelbaren Berlin-Bezug haben.

Frank Steffel, CDU-Fraktionschef: Das Jahr 2001 stand im Schatten der schrecklichen Ereignisse des 11. September. Der Begriff "TV-Ereignis" scheint mir in diesem Zusammenhang zwar unpassend. Dennoch: Nichts hat mich 2001 mehr bewegt als die Berichterstattung über die Angriffe auf New York und Washington, über den Einsturz des World Trade Centers und die Schäden am Pentagon. Nichts ist mir so sehr in Erinnerung geblieben wie die Berichte über die Helfer, die selbst zu Opfern wurden, über das Schicksal der Opfer und ihrer Angehörigen, und nichts hat mich mehr beeindruckt als die Bilder der ehrlichen und herzlichen Solidarität unter den Menschen in der ganzen Welt.

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