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Medien: Wer guckt denn da?

Sie sehen lieber Privatfernsehen. Vermutet man. Warum Türken bei der Einschaltquote nicht vorkommen

Jeden Freitagabend fragt Kaya Yanar, Komiker türkisch-arabischer Abstammung, in Sat 1: „Was guckst du ?!“ – und ist mit dieser Sendung ziemlich erfolgreich. Durch seine Sketche als türkischer Türsteher Hakan oder russische Wahrsagerin Olga erreicht er in der so wichtigen Zielgruppe der 14-bis 29-Jährigen regelmäßig einen Marktanteil von über 20 Prozent. Und besonders bei den in Deutschland lebenden Türken kommt er gut an – vermutet Sat 1-Pressesprecherin Kristina Faßler. Mehr als vermuten oder schätzen kann Faßler nicht, weil die Frage „Was guckst du?“ die türkischen Zuschauer gar nicht beantworten dürfen. Denn die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) in Nürnberg erfasst nur die Fernsehvorlieben deutscher Staatsbürger und EU-Ausländer. Für die Quotensucher existiert Deutschlands größte Ausländergruppe, die Türken, statistisch nicht.

GfK-Geschäftsführer Michael Darkow hat dafür zwei Erklärungen: Die ungenauen Daten, die den Forschern zur Verfügung stehen, und die hohen Kosten, die mit der aufwendigen Erhebung verbunden sind. Denn die Forscher suchen sich ihre Quoten-Haushalte aus dem Wahlregister der rund 80 000 Wahlbezirke. Und da Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft in Deutschland nicht wahlberechtigt sind, erfasst sie auch nicht das Register. Nach ersten Testmessungen liegt die Erforschung des Fernsehverhaltens der Türken deshalb, so Darkow, „auf Eis“.

So richtig unglücklich scheint über diesen Zustand aber fast niemand zu sein. Die Auftraggeber der Quotenmessung, die Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung (AGF), der sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Sender angehören, hat sich laut Darkow nicht nur wegen der wenig verlässlichen Daten gegen die Messung in türkischen Haushalten entschieden. „Die Sender kommen den Werbungtreibenden entgegen, indem sie die Türken nicht mitmessen“, erklärt der GfK-Chef und rechnet vor: Wenn die Fernsehsender durch das türkische Publikum mehr Zuschauer vorwiesen, würde sich auch der Preis der Werbezeiten für die Agenturen erhöhen.

Von einem stillschweigenden Übereinkommen zwischen Sender und Werbeagenturen will Anke Weber, Leiterin der AGF-Geschäftstelle, nicht sprechen. Sie bestätigt aber, dass „eine größere Grundgesamtheit auch zu einer Preiserhöhung“ bei den Werbezeiten führen würde, verweist aber vor allem auf die ungenaue Datenlage.

Auch Martina Sauer vom Zentrum für Türkeistudien der Universität Essen hat kein politisches Problem damit, dass türkische Sehgewohnheiten nicht in die Quote eingehen. Die Leiterin der empirischen Forschungsabteilung spricht nur von „großen technischen Problemen“ bei Erhebungen, die unter den knapp zwei Millionen in Deutschland lebenden Türken durchgeführt werden. „Da muss man natürlich immer Aufwand und Nutzen einer Erhebung abwägen“, räumt sie ein. Das heißt: Auch die Sender profitieren davon, die Türken als Zuschauer nicht mitzurechnen. Zwar würde ihnen eine höhere Quote bessere Werbepreise einbringen. Das komplizierte und somit kostspielige Erhebungsverfahren würde ihnen dieses Geld dann aber wieder aus der Tasche ziehen.

Das Argument der schwierigen Erhebung will der Vorsitzende des Bundesausländerbeirates, Memet Kilic, aber nicht gelten lassen. Man müsse sich nicht auf das Wahlregister beziehen, sondern könnte eine andere Lösung der Auswahl nach dem Zufallsprinzip finden, so Kilic. „Jeder, der Rundfunkgebüren zahlt, sollte auch bei der Quotenmessung mitgezählt werden", fordert der Vorsitzende. Andernfalls würden nur gefährliche Parallelwelten geschaffen. Ihm selbst sei die Nicht-Erfassung erst nach „bohrenden Fragen“ mitgeteilt worden, beklagt Kilic. „Der Migrant auf der Straße ist gar nicht informiert, dass er von den Fernsehsendern nicht wahrgenommen wird.“

Beim Hörfunk sieht es dagegen schon demokratischer aus: In der so genannten Media-Analyse hat theoretisch jeder die Möglichkeit, durch ein Telefoninterview erfasst zu werden, egal welchen Pass er besitzt. Doch Ilona Marenbach, Programmchefin von Radio multikulti, dem Migrantenradio des RBB, bezeichnet diese Methode als „unbefriedigend". Denn wer nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügt, wird auch hier nicht mitgezählt. „Ich hoffe, dass sich das in Zukunft ändert“, sagt Marenbach. Ansonsten, so befürchtet die Programm-Macherin, werde man eventuell an der eigentlichen Zielgruppe „vorbeisenden“.

Johanna Rüdiger

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