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Medien: Wimpern waschen

Das ZDF verhebt sich an der „Schule der 50er Jahre“

Es gibt ja einige Gründe, der Jugend zu misstrauen. Da wäre der Erziehungsnotstand, für den die Kurzen zwar nichts können, den sie aber sozusagen vorführen – es sei denn, die Supernanny schaut rechtzeitig vorbei. Na, und dann hat uns Pisa darüber aufgeklärt, dass der Nachwuchs schlecht lernt. Egal, woran es liegt, ob an zu soften Lehrern oder zu harten Strukturen, die Youngsters versagen. Sie wissen noch nicht mal, wie der höchste Berg Europas heißt. Wie macht man aus diesem Skandal unterhaltsames Fernsehen?

Man läuft auf dem Zeitstrahl rückwärts, zumal Shows mit Zeitmaschineneffekt Konjunktur haben. Aber statt bis 1900 oder noch weiter in die Vergangenheit zu reisen, kann man schon 1954 stoppen und sich das Internat „Burg Hohenfels“ ausgucken, wo einstmals kasernenähnliche Zustände herrschten, die Schüler noch in Zweierreihen antraten und die Lehrer keine Disziplinprobleme kannten – denn da wurde gespurt! Verpflanzt man, wie in der am Donnerstag ausgestrahlten ZDF-Reihe „Die Schule der 50er Jahre“, eine Riege verwöhnter sechzehnjähriger Konsumkids von heute in eine derart karge und fordernde Umgebung – dann wird die Post schon abgehen, aber hallo. Dann haben wir unterhaltsames Fernsehen mit Lerneffekt. Am Ende wissen alle, wie der höchste Berg Europas heißt.

So in etwa mag das Konzept der zuständigen ZDF-Redaktion gelautet haben. Herausgekommen ist aber was ganz anderes: eine zähe, verzweifelt mit den Augen zwinkernde Edu-Histotainment-Show oder wie sowas heißt, furchtbar bemüht darum, die Botschaft: Ja, damals haben die jungen Menschen noch echt gebüffelt und „sittliche Reife“ angestrebt..., nicht aus den Augen zu verlieren und doch den leider reichlich albernen Kiddies ihre Denkblase zu gönnen: „Gottseidank, dass wir heute (2005) leben!“ Einerseits sollen sie sowas wie Achtung und Verständnis für die veraltete Pädagogik der Fifties mimen, denn immerhin wussten ja damals die meisten, wie der höchste Berg Europas heißt, andererseits hat man ihnen wahrscheinlich nahe gelegt, in den Einzelinterviews möglichst kameratauglich zu leiden: unter all den Einschränkungen, dem miesen Essen, den Schuluniformen und dass sich die Mädchen die getuschten Wimpern waschen müssen. Die aus vielen Reality-Shows und Dokusoaps bekannte Produktionslüge: „Seid ganz locker und entspannt, so als wäre die Kamera gar nicht da“, führte auch hier Regie und zu den erwartbaren peinlichen Selbstinszenierungen der Früchtchen, die natürlich gleich am ersten Abend heimlich rauchten und sich auch noch erwischen ließen, wobei das Team spürbar unsicher war, ob es sich über den wirkungsvollen Regelverstoß freuen oder eine „Das war aber nicht ausgemacht“-Empörung vortäuschen sollte.

Der ganze Krampf dieser künstlichen Spannung, die immer wieder neu beschworen werden muss, denn wir haben ja nun eine andere Welt als jene der Burg Hohenfels und können im Internet ganz schnell den Namen des höchsten Berges herausfinden, und jeder, ob nun Lehrer- oder Schülerdarsteller, weiß das in jeder Minute und ist darüber auch heilfroh - dieser Krampf, der nur durch eine interessante Handlung vermieden werden könnte, lastet schwer auf dem Projekt. Denn es ist nun mal nicht interessant, einer Rotte von Rotznasen („Ich bin sehr selbstbewusst“, „Ich bin ein Sturkopf“) dabei zuzusehen, wie sie sich elementares Wissen in Sachen Erdkunde, Deutsch oder Briefeschreiben draufschafft. Wobei man nicht mal sicher sein kann, ob die Wissenslücken echt oder zur Vertiefung der Pisa-Scham gespielt sind. Nein, so geht es nicht. Die Konzeptentwickler, Begleiter und Auswerter dieser Zeitreise hätten schon entscheiden müssen, ob sie auf Seiten von Britta, Inga und Tobias den ganzen quasi-militärischen Drill hopsnehmen oder ihr eigenes Projekt ernst und dann wirklich die Frage vertiefen: Helfen Strenge und Entsagung beim Lernen oder eher nicht?

„Die harte Schule der 50er Jahre“, Donnerstag, ZDF, 19 Uhr 25

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