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Medien: Wir sind, wir können, wir werden

Die Wahlwerbespots: Von denen da oben erdacht, für die da unten gemacht

Von Reinhard Siemes

Bevor ich mich einigen Wahlspots widme, denen der TV-Zuschauer zurzeit ausgesetzt ist, möchte ich eine Lanze für die Leute brechen, die diese Spots machen müssen. Die größeren und großen Parteien haben einen Spitzenkandidaten, einen persönlichen Berater des Spitzenkandidaten, einen Parteivorsitzenden, einen Generalsekretär, einen Wahlkampfleiter, das Team des Wahlkampfleiters, ein Forschungsinstitut und eine Werbeagentur. Letztere wäre durchaus in der Lage, intelligente und wählernahe Filmchen zu produzieren.

Nur darf sie nicht. Schließlich wollen sich die Vorgenannten einbringen. Und gibt es jemanden, der über die Probleme und Hoffnungen der Wähler besser Bescheid weiß als der Parteivorsitzende oder der Generalsekretär? Also muss die Werbeagentur an die zehn Treatments (Ideenskizzen) liefern: Ein Vorsitzenden-Treatment, ein Sekretär-Treatment, ein Berater-Treatment und so weiter. Nach und nach verdichten sich die Einzelwerke zu einem großen Homunkulus.

Und alle sind glücklich. Bis auf den Wähler. Der sieht im Kino Menschen, die Motoröl, ihre Tapete oder ihre Stellung beim Liebesakt wechseln, was eine Aufforderung sein soll, mit der Schröder-Regierung genauso zu verfahren. Als der Film in der Parteirunde gezeigt wurde, waren die CDU-Mannen vermutlich begeistert: „Genau, so kriegen wir die jungen Wähler.“ Im Kino kommen von dieser so genannten Zielgruppe zwar vereinzelte Lacher. Aber nur, weil der Film so lächerlich ist. Schließlich wird das Bild, das der Wähler von einer Partei hat, zu 90 Prozent vom Spitzenkandidaten und seiner Mannschaft geprägt. Und wer die Akteure des Films durch Edmund und Karin oder Herrn Glos ersetzt, kriegt spätestens beim angedeuteten Liebesakt einen Lachkrampf der traurigen Art. Obendrauf sitzt der Spruch „Zeit für Taten“.

Stellen Sie sich vor, jemand sagt zu Ihnen: „Es ist Zeit für Taten.“ Würden Sie nicht auch versucht sein, die Männer mit den weißen Schuhen zu rufen?

Die SPD setzt auf den nostalgischen Reiz alter Waschmittel-Spots, mit Hausfrauen in Schürzen, die selbstlos ihren Gatten umsorgen: „So sieht die deutsche Zukunft aus, wenn sie Herrn Stoiber in die Hände fällt.“ Wären die Genossen in der Opposition, könnte der Film sogar funktionieren. Zurzeit aber geht er nach hinten los – als Hinweis auf uralte sozialdemokratische Piefigkeit.

Aber der Kanzler hat rechtzeitig gegengesteuert. Er ist nicht mehr der Mann der Mitte. Sondern ein „moderner Kanzler für ein modernes Deutschland.“ Er stürmt moderne Treppen hoch, unterschreibt moderne Briefe in modernen Unterschriftsmappen und spricht nachdenklich, aber modern in ein Telefon. Denn sein Credo lautet: „Wir schaffen das.“ (Gern, aber was bitte?) Diese moderne Piefigkeit ist noch schlimmer als die geliehene. Schröder wirkt weder schlecht noch gut, sondern gar nicht, trotz seiner vielen Worte.

Guido Westerwelle macht das besser, er macht nämlich auf neu: „Die neue Generation Deutschland.“ Er hat sich ein neues, flottes Polohemd gekauft, in dem er unter einem Baum, auf einem neuen Fahrrad, in einer Galerie und vor dem Reichstag laut über Steuersenkungen nachdenkt. Leider kann er nicht mehr sagen, wer die bezahlen soll – Film zu kurz. Vielleicht die neue Generation Deutschland?

Der Favorit unter allen Spots ist jedoch der mit Edmund und Angela in der Schule. Worüber spricht der Rektor mit seiner ehemaligen Todfreundin und jetzigen Lieblingslehrerin? Richtig, über Arbeitslose. Und warum tut er das im pädagogischen Gemäuer – statt auf der Kaimauer? Weil er ein Denker ist, der Abstand halten will zu den Genossen – und den Wählern.

Das Schlimme an den Spots der etablierten Parteien ist nicht die schlechte Qualität. Die ist durchweg in Ordnung. Schlimm ist die entsetzliche Belanglosigkeit, vor allem in der Sprache. Die ersten Ideen der jeweiligen Werbeagentur sind meistens einfach in der Idee und klar im Wort. Doch je länger die Kreativen mit den Partei-Oberen zusammenhocken, desto logischer erscheint ihnen das Politiker-Deutsch. Irgendwann schreiben sie nicht nur die Worte von Schröder, Stoiber oder Westerwelle in staatstragendem „Kanzlerisch“. Sondern den ganzen Film.

Das Problem war und ist ein doppeltes. Die zu vielen Leute, die in den Partei-Zentralen mitreden, sind auch noch die falschen. Wer es bis hoch in die Parteispitze geschafft hat, lebt in einem Mikrokosmos und ist für die Kommunikation mit den Wählern nicht mehr zu gebrauchen. So einer fährt nicht mehr Bahn in der 2. Klasse, dort, wo seine Wähler sitzen. Statt in die Eckkneipe in Kreuzberg oder Hohenschönhausen geht er zum Partei-Italiener in Mitte. Er weiß nicht, was der Liter Milch kostet, kennt den jugendlichen Arbeitslosen nur aus der Statistik und die Rentnerin mit 520 Euro pro Monat als Einzelfall aus TV-Berichten. Die Folge ist ein Absenderdenken von oben nach unten: Wir sind, wir können, wir werden.

Die anderen aber sind nicht, können nicht, werden nicht. Selbst die hausgemachten Filme der kleinen Parteien werden so angelegt. (Woran sollen sie sich auch orientieren?) Doch die seltsamen Kameraeinstellungen, das falsche Licht, und die Unbeholfenheit der Kleindarsteller haben etwas Entwaffnendes: Der Wähler kommt nicht umhin, den politischen Gnomen ihren gesammelten Stuss zu verzeihen. Bei den Stoiber- und Schröder-Spots dagegen bleibt ein seltsames Unbehagen zurück.

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