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Zum Geburtstag bekommt Mandy (Hanna Müller) von Sterneköchin Ida (Anna Loos, r.) einen Ausflug und Geld spendiert. Doch das Mädchen wünscht sich mehr.

© ZDF

ZDF-Sozialdrama: Die Kinder anderer Leute

Der Film „Mandy will ans Meer“ erzählt eindringlich von Armut in Deutschland. Anna Loos spielt darin eine Köchin, die sich bei der Hilfseinrichtung "Barke" engagiert - als Vorbild dient das Berliner Projekt "Arche". Doch die Geschichte strahlt weit über die Grenzen der Hauptstadt hinaus.

Von Maris Hubschmid

Anna Loos trifft als impulsive Sterneköchin Ida Schmidt, die im Beruf größten Erfolg, aber keine Freunde hat, auf Tercan (Erhan Emre), den attraktiven großherzigen Fahrer eines Kinderhilfsvereins. Der konditionierte ZDF-Zuschauer lehnt sich zurück. Am Ende werden die beiden ein Paar sein, er wird sie lehren, geduldiger mit den Mitarbeitern umzugehen und mehr als nur gutes Essen zu genießen. Die Einzelkämpferin mutiert zur Teamplayerin. Soweit die Erwartung.

Dieser Film aber wird dem Zuschauer mehr abverlangen. Er wird ihn in eine verwahrloste Wohnung führen und mit häuslicher Gewalt konfrontieren. „Mandy will ans Meer“ ist auch eine Geschichte von Kinderarmut. Ihr zugrunde liegen gründliche Recherchen und harte Fakten: 1,5 Millionen Kinder leben hierzulande in Hartz-IV-Haushalten. In Berlin sogar jedes dritte. Kinder, denen es oft an mehr als nur einem neuen Paar Turnschuhe fehlt. An Aufmerksamkeit und Wärme.

Ein Thema, mit dem sich nicht nur Luxusrestaurantchefin Ida ungern auseinandersetzt. „Sieh dir doch mal an, wo deine Küchenreste landen“, sagt Tercan, der im Hilfswerk „Barke“, das der Berliner Einrichtung „Arche“ nachempfunden ist, Kindern ein warmes Mittagessen und Hausaufgabenbetreuung anbietet. Ida muss jedoch erst ihr Smartphone in einer Gemüsekiste vergessen, ehe sie die „Pennerstation“, wie sie sagt, besucht. Dass sie Anlaufschwierigkeiten hat, ist auch ihrer eigenen Herkunft geschuldet: „Was gehen dich die Kinder anderer Leute an?“, fragt ihre Mutter. Kein Verständnis gibt es in ihrem kleinen Kosmos für „diese moderne Mitleidstour“.

Ida aber imponiert Mandy (Hanna Müller), die toughe Elfjährige, die sich um ihre jüngeren Geschwister kümmert. Sie beginnt, Mandy und anderen das Kochen beizubringen, weckt mit ihrem Engagement allerdings nicht nur Interesse, sondern auch Begehrlichkeiten. Als Ida zum vereinbarten Kochkurs nicht erscheint, fordern die Kids ihre Mahlzeit bei ihr im Nobelrestaurant ein. Ida schenkt Mandy Geld, die klaut ihr daraufhin das ganze Portemonnaie leer. Immer wieder braucht es Tercan, der vermittelt: Helfen ist nicht so leicht, wie man denkt.

Dass Drehbuch (Christian Pfannenschmidt) und Regie (Tim Trageser) den Zuschauer lange schonen, darf als Taktik verstanden werden, um ihn bei der Stange zu halten. Erst nach 45 Minuten kommt der Schockmoment: Da steht Ida in Mandys vollgemülltem Zuhause, kurz darauf schlägt der Vater Mandy an ihrem Geburtstag blutig. Fast noch beklemmender ist der Moment davor, in dem der Ausbruch sich ankündigt: Statt ihre Kinder zu schützen, verlässt Mandys depressive, völlig ermattete Mutter (stark: Christina Große) wortlos den Raum.

Die Kamera (Eckhard Jansen) fotografiert diese Szenen angenehm nüchtern, die Macher erlauben sich lediglich ein poetisches Rahmenbild. Da sinkt Mandy, scheinbar betäubt, tiefer, immer tiefer in das Dunkle des Meeres hinab, das kennenzulernen sie sich so sehr gewünscht hatte. Berührend ist der Film nicht zuletzt deshalb, weil es Autor Pfannenschmidt, der sich bereits mit dem Afghanistan-Heimkehrer-Drama „Willkommen zu Hause“ erfolgreich an ein unangenehmes Thema gewagt hat, klug vermeidet, schwarz-weiß zu zeichnen. Niemals, auch nicht, als Ida sich entschließt, das Jugendamt einzuschalten, gibt es richtig und falsch, verläuft sich „Mandy will ans Meer“ in Klischees.

Dem Jugendamt ist Mandys Familie bereits bekannt – wo aber setzt man an, wenn die Alternative das Heim ist? Die Kinder von den Eltern zu trennen, das muss auch Ida erleben, ist nicht immer die Lösung. „Auch geschlagene Kinder lieben ihre Eltern tief“, sagt Andrea Bürgin, die als Behördenmitarbeiterin wiederholt einordnend auftritt. Im Interview erklärte auch Anna Loos nach den Dreharbeiten, dass man es sich nicht so leicht machen dürfe, „immer den Eltern die Schuld in die Schuhe zu schieben: In einem Sozialstaat wie es der unsere vorgibt zu sein, sollte sich jeder für den anderen in gewisser Weise verantwortlich fühlen.“

„Mandy will ans Meer“ ist eine Berliner Geschichte, die weit über die Stadt hinausstrahlt und die richtigen Fragen aufwirft. Das Happy End ist den ZDF-Zuschauern trotzdem gegönnt. Mandy taucht auf.

„Mandy will ans Meer“, 20 Uhr 15, ZDF

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