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Welches Medium hätten S’ denn gern? Der Zuschauer und Leser und User wird künftig vor eine immer größere Qual bei seiner Auswahl gestellt werden.

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Zukunft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Fürsorgliche Belagerung

Das Medienangebot der Zukunft wird penetrant und persönlich – da muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk mit. Ein Beitrag von Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue

Wer in diesen Monaten Seriöses über die Zukunft der Medien schreiben möchte und selbst wie der Autor und die anderen Autorinnen und Autorinnen dieser verdienstvollen Tagesspiegel-Serie täglich in der Branche verantwortlich tätig ist, der sollte ehrlich mit seiner Rolle sein. Wir alle sind viel zu sehr verstrickt, viel zu befangen und häufig auch viel zu ratlos, wenn es um die Antworten auf die immensen Herausforderungen an Medien und Medienwirtschaft geht. Für die Formulierung von Prognosen für die Medienlandschaft der Zukunft fehlen uns allen der notwendige Abstand und die ebenso notwendige Gelassenheit. Wenn sich also Medienmacher halbwegs ernsthaft diesem Thema widmen wollen, dann sollten sie sich auf einige Schlaglichter konzentrieren, in der Hoffnung, dass die Schwarmintelligenz der Branche gemeinsam ein Bild der Zukunft zeichnen kann. Ich möchte mich auf einige Anachronismen konzentrieren, die uns Zeit, Geld und Kraft kosten, und dann auf zwei Trends beschränken, von denen ich vermute, dass sie unsere Branche umpflügen werden.

Die Medienbranche erlebt durch die Digitalisierung einen rasanten Wandel. Doch wenn es um das finanzielle Geschäft geht, dann versuchen wir den Wandel mit Rückgriffen und Schlagworten der vergangenen Jahrzehnte zu bändigen. Als ein Beispiel mag die berühmt-berüchtigte „Presseähnlichkeit“ gelten. Der Begriff stammt aus den alten Zeiten, als die digitalen Angebote der Medien lediglich Spiegel der Texte und Beiträge aus den „Hauptmedien“, also aus Fernsehen, Hörfunk und Presse, waren. Und vor allem bei den Nachrichten-Apps kamen sich Verlagsangebote und Öffentlich-Rechtliche gefährlich nahe. Wenn „presseähnlich“ heißen soll, dass ein Angebot wie eine Zeitung aussieht, dann haben „presseähnliche Angebote“ inzwischen Exotenstatus. Entscheidend ist aber vor allem, dass textdominierte Seiten kaum genutzt werden, die digitale Welt fordert eine ganz eigene Ästhetik, eine besondere Dramaturgie und sehr viel mehr Abwechslung und Bewegung. Im neuen Entwurf zum Telemedienauftrag, gerade von den Ministerpräsidenten der Länder beschlossen, geistert der Dino „Presseähnlichkeit“ immer noch durch die Regelungen, aber der Geist ist inzwischen ein anderer. Die Länder, die öffentlich-rechtlichen Sender und die Verleger haben längst erkannt, dass in der Gesamtanmutung und in der Schwerpunktbildung der digitalen Angebote ein Unterscheidungsmerkmal zwischen den Verlags-Apps und denen der Öffentlich-Rechtlichen zu finden ist. Und zu den großen Qualitäten des Entwurfs gehört es, dass die digitale Welt für die Qualitätsmedien der Verleger und der Öffentlich-Rechtlichen gleichermaßen als Raum für neue Entwicklungen respektiert wird.

Streitritual zwischen Öffis und Privatsendern

Ein anderer Anachronismus ist das merkwürdige Streitritual zwischen Privatsendern und öffentlich-rechtlichen Rundfunkanbietern, das seit einiger Zeit unübersehbar von den Privaten befeuert wird. In den vergangenen Monaten hat es aus den Chefetagen von RTL, ProSiebenSat.1 und anderen augenscheinlich mehr Einlassungen zur Zukunft der öffentlich-Rechtlichen Konkurrenz gegeben als zur Zukunft der eigenen Sender. RTL will bei der Auftragsgestaltung der Öffentlich-Rechtlichen mitreden, ProSieben möchte vom Beitragskuchen naschen. Schaut man auf die Marktsituation der privaten Sender, auf die Marktanteile, auch bei den jungen Zielgruppen, dann könnte man meinen, die Privaten hätten eigentlich genügend eigene Sorgen. Die Rempelei ist auch deswegen einseitig, weil die Öffentlich-Rechtlichen zurzeit ganz andere Sorgen haben, als mit RTL und Pro Sieben zu raufen. Und es gibt auch tatsächlich keinen rationalen Grund: Der Markt ist aufgeteilt, die Claims abgesteckt, das betrifft Marktanteile, Einnahmen und auch die Personalstärke. Der TV- und Hörfunkmarkt ist so dual, wie es ihre politischen Erfinder wollten – ungefähr 50/50. Gesamterträge für die Öffentlich-Rechtlichen im Jahr 2016: 9,3 Milliarden, für die privaten Rundfunkanbieter 10,7 Milliarden, vor allem Werbeeinnahmen, von uns allen als Konsumenten ebenso bezahlt. Öffentlich-rechtliche TV-Programme: 22, private TV-Programme: 156 – plus 139 regionale. Öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme: 56, private: 269. Mitarbeiterzahl der Öffentlich-Rechtlichen: 23 600 besetzte Planstellen, fest angestellte Mitarbeiter der Privaten: 22 080. Aus diesem Markt erwächst den Privaten keine Krise, ihre Werbeeinnahmen steigen Jahr für Jahr, trotz Netflix und Co. Über die Gründe der aufgeregten Stellungnahmen kann man nur spekulieren. Unnötig sind sie, anachronistisch, nervig, wir könnten uns das eigentlich schenken.

Diese Kämpfe von gestern halten uns nämlich davon ab, Veränderungen zu beobachten, auf die wir alle bald eine Antwort geben müssen. Da ist beispielsweise die Frage nach der Qualität unserer Angebote, die sie so einzigartig machen sollte, dass unsere Kunden mit großer Überzeugung auch Geld dafür ausgeben – ob als Rundfunkbeitrag, als Abonnement oder als Werbungsobolus beim Kauf einer Flasche Bier oder eines Autos.

Die Entwicklung multimedialer Strukturen ist meist einhergegangen mit einer starken Zentralisierung, hat dies eigentlich die Lebensnähe unserer Beiträge und Artikel gefördert? Der Aufbau der neuen Onlinekapazitäten war meist mit Einsparungen im linearen Bereich verbunden, häufig unter schlechteren Bedingungen für die Mitarbeiter in den neuen Bereichen, die als gefühlte „Zweite Klasse“-Redaktionen so nebenher auch noch die Zukunft des Unternehmens retten sollten.

Stefan Raue ist Intendant von Deutschlandradio, das die Programme Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova veranstaltet.
Stefan Raue ist Intendant von Deutschlandradio, das die Programme Deutschlandfunk, Deutschlandfunk Kultur und Deutschlandfunk Nova veranstaltet.

© dpa

Qualitätsmedien müssen profiliert und unverwechselbar ihr Publikum treffen und erreichen. Wenn das Publikum das Gefühl bekommt, dieses Programm oder dieser Artikel betreffe es selbst gar nicht, sei an alle und niemanden gerichtet, registriert es eine kommunikative Störung, die im chronischen Fall zur Abkehr des ehemals treuen Lesers oder Hörers führen kann. Es ist daher sehr die Frage, ob der Trend zur fernen Zentralredaktion, die die Nähe und direkte Ansprache des Lesers nur noch suggeriert, der Trend zur multimedialen Werkbank, an der TV- und Hörfunkbeiträge gewissermaßen nur noch umgetopft und als neue Pflänzchen angepriesen werden, und der Trend zur Synergie und zur zentralistischen Content-Orientierung nicht aus unseren Artikeln und Beiträgen No-Name-Produkte machen, die massenhaft produziert werden, für die aber niemand etwas zu zahlen bereit ist.

Und weil wir gerade beim Bürger, Nutzer, Leser, Hörer und Zuschauer sind, also beim Publikum: Mir scheint es, als habe sich das Publikum in den letzten Jahren vorgenommen, uns Medienmacher in die Verzweiflung zu treiben. Von Dankbarkeit für unsere fleißige Arbeit keine Spur. Das Publikum giert nach ganz neuen Formen und Angeboten, will aber gleichzeitig auf keinen Fall auf die alten Formate der linearen Medienwelt verzichten. Das Jauch-Quiz, der ZDF-„Fernsehgarten“ oder die Schlagershows mit Florian Silbereisen, das sind die Sendungen, die Jung und Alt noch zusammenführen. Das lineare Senden wird noch lange erfolgreich und unumgänglich sein. Dieses alte und sehr zählebige Vertriebsmodell heißt: Wir senden, Sie schauen.

Der Nutzer wird belagert

Die Idee der sich ringförmig ausbreitenden Funkwellen, die alle Welt erreichen können, in der Mitte der Sender, und alle sind Empfänger, diese Idee ist von vorgestern, aber immer noch wirksam. Der Nutzer von morgen erwartet allerdings die fürsorgliche Belagerung durch den Medienanbieter, bis hin zur Aufdringlichkeit. Wenn im Massenangebot im Netz Unterscheidung kaum möglich ist, dann muss sich der Programmanbieter rühren, nicht der Nutzer. Die Nutzerinnen und Nutzer sind nämlich von iTunes, Amazon und der Empfehlungswelt der sozialen Netzwerke gewohnt, dass sie belagert werden von Hinweisen, Angeboten, Zudringlichkeiten. Das Medienangebot der Zukunft wird penetrant, sehr persönlich und sehr aufdringlich sein. Sind wir klassischen Medien, ob privat oder öffentlich-rechtlich, diesem Trend neben unserem alten und immer noch erfolgreichen Geschäft überhaupt gewachsen? Können wir das überhaupt, mental und auch ganz praktisch? Die massenhafte Personalisierung der Medienangebote findet schon statt und drängt sich immer mehr in den Vordergrund. Heute noch als Teil des medialen Warenaustauschs, morgen schon als prägende Gestalt der Medienwelt?

Stefan Raue ist Intendant von Deutschlandradio. Bisher erschienen: Patricia Schlesinger (15. April), Hans Demmel (25. April), Christoph Palmer (7. Mai), Rainer Robra (11. Mai), Norbert Schneider (21. Mai), Tabea Rößner (25. Mai), Thomas Bellut (10. Juni), Frauke Gerlach (22. Juni)

Stefan Raue

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