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Meinung: … Großbritannien

Matthias Thibaut über Londons Bürgermeister Livingstone, der sich als britischer Silvio Berlusconi aufführt

Tony Blair beschwor Londons Bürgermeister Ken Livingstone wie ein trotziges Kind: „Lasst uns einfach Entschuldigung sagen und weitermachen, das wäre das Vernünftigste.“ Man müsse wissen, „wann der Zeitpunkt für ein Sorry gekommen ist.“ Dachte er dabei an sein eigenes Sorry – für die Fehlinformationen vor dem Irakkrieg? Darauf wartet die Welt bis heute. Zum Image des LabourBürgermeisters Livingstone passt Sorry noch weniger. Er ist ein von seiner Unfehlbarkeit überzeugter Populist, der politische Korrektheit schon oft ungestraft in den Wind schlug.

Diesmal erinnerte er an Berlusconi. Wie Italiens Ministerpräsident im Europaparlament brachte Livingstone ohne rechten Grund Konzentrationslager und Nazi-Wächter ins Spiel. Sein Opfer war kein deutscher Parlamentarier, sondern ein Journalist vom „Evening Standard“. Der hatte Livingstone nach der „Coming out“-Party für Großbritanniens ersten „offiziell“ schwulen Labour-Abgeordneten Chris Smith gefragt, ob es eine gute Party war. „Was haben sie früher gemacht, waren sie ein deutscher Kriegsverbrecher?“, fragte Livingstone zurück. „Nein. Ich bin Jude und finde das beleidigend“, antwortete Oliver Feingold. Worauf Livingstone erwiderte: „Vielleicht sind sie Jude. Aber sie benehmen sich wie ein KZ-Wächter.“

Natürlich könne er sich entschuldigen, verteidigte sich Livingstone ein paar Tage später. „Aber ich müsste lügen.“ In Wirklichkeit gelte sein Zorn der „faschistischen“ Zeitung, die ihn seit 24 Jahren verfolge – abgesehen von den Jahren, in denen er für das verhasste Blatt Restaurantkritiken schrieb. Die Chance, sich rasch ohne Gesichtsverlust zu entschuldigen, war vertan. Dann fehlte die Zeit. Das Olympische Komitee kam, um Londons Olympiabewerbung für 2012 zu prüfen, und Livingstone immer vorne dabei.

Nun wird diskutiert. Ob Livingstone mit seiner Dickköpfigkeit Londons Olympiahoffnungen schadete. Ob die Labourparty im Wahlkampf heimlich mit Antisemitismus spielt – weil es in Großbritannien fünf mal so viele Moslems wie Juden gibt. Wahlkampfplakate brachten unterschwellig schon die jüdische Abstammung von Oppositionsführer Michael Howard ins Spiel. Londoner diskutieren auch, ob die Ausfälle einfach zu ihrem Ken gehören. Ist ehrliche Unverschämtheit nicht besser als heuchlerische Höflichkeit?

Seltsam, wie klar die Fronten sind. Politiker und Zeitungen pochen auf den guten Ton. Nach den Umfragen scheinen Normalbürger ihren Ken ruppig zu mögen.

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