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Meinung: Ablass vom großen Dealer

Mit Belohnungen für Steuersünder untergräbt der Staat sich selbst

Von Jost Müller-Neuhof

Das Allerschwärzeste am Schwarzgeld ist, dass man so wenig darüber weiß. Sind es nun 100 Milliarden Euro, die am Fiskus vorbei ins Ausland gekoffert wurden – oder eine Billion? Wie viel davon wurde nur der Kapitalertragssteuer vorenthalten – und wie viel ist insgesamt am Finanzamt vorbei erworben, mit ohnehin geringster Chance auf Nachmeldung? Das Dunkel hat die Regierung nicht gehindert, eine Rechnung mit unbekannten Größen aufzumachen, wie das Geld wieder zurück nach Deutschland fließen könnte. Finanzminister Eichel sagte gestern, eine Amnestie sei unzumutbar, aber er hat sich in der Frage bereits einmal wenden lassen. Wie der Kanzler denkt, weiß keiner.

Keine Amnestie – oder irgendein anderes Entgegenkommen – kann so viel Geld in die Kassen spülen wie etwas mehr Ehrlichkeit im Angesicht der eigenen Steuernummer. Um eine echte Amnestie könnte es übrigens gar nicht gehen. Zwar darf der Staat Gnade nicht nur aus Milde, sondern auch aus ökonomischen Motiven walten lassen, aber hier steht anderes in Rede. Hier soll der Sünder dem Beichtvater etwas zustecken, damit die göttliche Strafe ausbleibt. Es geht um eine Art Ablass oder, in der Sprache des Strafrechts: um einen Deal. Darin liegt noch nichts Verwerfliches. Der Deal ist die Oase der Ökonomie im Strafrecht. Der Täter gesteht, der Staatsanwalt schweigt, der Richter wird großzügig. Das spart Zeit und damit Geld, und der schrille Warnton rechtsstaatlicher Korrektheit wird dafür, sagen wir mal, eine zeitlang etwas leiser gedreht. Der Steuerfall Boris Becker entwickelt sich gerade in diese Richtung.

Das ist der individuelle Deal. Das Problem beim großen, kollektiven Deal, wie er dem Kanzler vorschwebt, ist vor allem, dass es ihn bereits gibt. Es handelt sich um die Selbstanzeige, eine ganz und gar ungewöhnliche Vorschrift, die den Steuersünder von Strafe freistellt, wenn er nur redlich auflistet, was er alles hinterzogen hat, und natürlich alles brav nachzahlt. Für einen Brandstifter, der den Schaden wieder gutmacht, gibt es Vergleichbares nicht. Geschuldet ist dieses Privileg zum einen juristischen Gründen, zum anderen der schlichten Tatsache, dass der Fiskus auf Einnahmen hofft – exakt wie mit den derzeit diskutierten Plänen.

Über diesen Deal sollte kein Finanzminister hinausgehen. Tut er es, wie mit dem Amnestiegesetz von 1988, belohnt er Betrüger. Damals, mitten in der stabilsten Kanzlerperiode seit Bestehen der Bundesrepublik, hat das nur Wenige aufgeregt. Heute wäre es richtigerweise anders. Kanzler Schröder hat ein Faible für kreative Lösungen, aber allzu kreativ sollte er nicht werden. Er, der Meister der Vereinfachung, hat mit seinem Satz „Es ist mir lieber, wenn das Geld in Leipzig arbeitet, als wenn es in Liechtenstein auf Konten liegt“ einen weiteren Beleg seiner politischen Formelkunst geliefert, aber keinen tauglichen Vorschlag. Beharrt man nämlich auf der rechtlich einzig vertretbaren Lösung, dass Steuersünder nachzahlen müssen, wird sich niemand melden.

Der Osten ist am Boden, aber nicht jedes Mittel recht, um ihm aufzuhelfen. Neben Österreich gilt Italien als Vorbild für den Deal mit den Steuersündern. Dort mussten Hinterzieher gar nichts zahlen, wenn sie ihr bemakeltes Kapital in Schatzscheinen anlegten. Aber Italien ist kein Vorbild und sollte besser nicht dazu erklärt werden. Nirgendwo in Westeuropa ist die Strafrechtspflege in einem desolateren Zustand als dort.

Steuerhinterziehung gilt als lässliches Delikt. Der Gesetzgeber sollte sehen, dass es wieder ernst genommen wird. Mit der jüngsten Verschärfung bei der gewerbsmäßigen Hinterziehung geht er den richtigen Weg. Nachsicht wäre jetzt das falsche Signal. Im Himmel mag über einen reuigen Sünder mehr Freude herrschen als über tausend Gerechte. Auf Erden sollte es andersrum sein.

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