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Meinung: Alle Macht den Mädchen

Am „Girls’ Day“ öffnen sich Firmen und Verwaltungen für junge Frauen – weil die typisch weibliche Berufe immer noch vorziehen

Das Poesiealbum gibt es immer noch. Aber nicht einmal der konservativste Großvater wird heute die Zeilen hineinschreiben, die für die Erziehung der Mütter und Großmütter von heute ein Leitsatz waren: „Sei wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein. Und nicht wie die stolze Rose, die stets nur bewundert will sein.“ Fast noch ein unscheinbares Veilchen ist der „Girls’ Day“, der morgen zum dritten Mal stattfinden wird. Präsentiert wird er von den obersten Stellen, von Ministerinnen und Firmenchefs – also wie eine stolze Rose, die mächtig bewundert werden soll. Die Idee stammt aus den USA. Da hat man sich immer schon gern etwas Praktisches einfallen lassen, um Probleme zu lösen, die hier gern und ausgiebig auf feministischen Konferenzen hin- und hergewälzt werden.

Das Problem? Mädchen haben heute vollen Anteil an der Schulbildung, sogar mit besseren Noten und einem Anteil an höheren Abschlüssen, der über dem der Jungen liegt. Trotzdem suchen 80 Prozent von ihnen ihre Zukunft in den 25 „typisch weiblichen“ Berufen. Einschließlich der schlechteren Bezahlung und geringeren Aussichten auf Aufstieg. Junge Frauen besetzen, wie das Statistische Bundesamt pünktlich zum Girls’ Day gemeldet hat, stolze 47 Prozent der Studienplätze. Aber an deutschen Hochschulen lehren nur 11 Prozent weibliche Professoren.

Mädchen können alles werden, außer Bergmann. Sie werden Friseurin, Verwaltungsangestellte, Psychologin, Lehrerin und neuerdings Moderatorin. Am Girls’ Day öffnen deshalb vor allem Betriebe ihre Tore für Schülerinnen, in denen es um High Tech, IT und Spitzenposten geht. Darum wird der Berliner Wirtschaftssenator bei seinen Dienst-Terminen an diesem Tag von vier Mädchen begleitet. Das Kanzleramt lässt sich in seine technische Logistik blicken.

Die Idee hat Zulauf. Im letzten Jahr haben rund 40 000 Mädchen mitgemacht, in diesem Jahr werden doppelt so viele erwartet – obwohl jede weiß, dass der Girls’ Day am Problem unmittelbar nichts bewegen kann. Die Berufswahl gründet auf tief sitzenden Geschlechter-Unterschieden, die eine Gleichstellungsstelle so wenig verändern kann wie das Spielverhalten von kleinen Kindern. Man darf heute sogar darüber diskutieren, ob Frauen nicht für manche Berufe geeigneter sind und umgekehrt Männer für andere.

Aber der Girls’ Day überschreitet die unsichtbaren Schwellen. Warum liegen die Mädchen vorn bei Noten und Abschlüssen? Sie wissen instinktiv, was ihre Mütter aus Erfahrung kennen. Junge Frauen müssen durch Leistung vorbauen, damit etwas bleibt für die anderen Dinge, die sie auch wollen. Für die anderen Zeiten – die mit Kindern und Familie – die sie stark in Anspruch nehmen. Da ist es ratsam, im öffentlichen und beruflichen Raum keine Grenze der Emanzipation hinzunehmen. Mädchen müssen immer noch Welten erobern.

Die Jungen beobachten übrigens sehr gut, wie die Altersgefährtinnen nach den Plätzen greifen, auf die sie angestammte Herrschaftsrechte zu haben glauben. Erst der dritte Girls’ Day – und schon bieten die ersten Schulen, Arbeitsämter und Gewerkschaften vorsorglich Veranstaltungen für Jungen an. Ob der Andrang groß ist, wenn die Beratungsstelle „Vater und Beruf“ den männlichen Nachwuchs in Kindergärten und Krankenhäuser schicken will?

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