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Meinung: Alles unter Kontrolle

Der Senat von Berlin will Religion nicht als Wahlpflichtfach – wovor hat er Angst?

"Pro Reli“, das hört sich nett an, spielerisch, das klingt nach Schülerdeutsch. Für den Senat von Berlin aber scheint die Bürgerinitiative, die sich für einen gleichberechtigten Religionsunterricht einsetzt, etwas ganz Schlimmes zu sein. Die Trennung von Staat und Kirche sieht er offenbar in Frage gestellt, die Multikulturalität der Stadt hält er für gefährdet, wenn nicht alle Schüler einer Klasse dasselbe über ethische Grundprinzipien erfahren.

Deshalb wird jetzt auch die Initiative für einen gleichberechtigten Religionsunterricht auf subtile Art behindert. Entgegen der ursprünglichen Erwartung dürfen die Verfechter des Volksbegehrens die geplanten 50 Informationsstände nicht etwa aufstellen, wo sie mögen, sondern haben sich jeweils die Erlaubnis der Bezirke zu holen. Das kann, je nach gutem Willen des zuständigen Mitarbeiters, schnell oder langsam gehen – Verzögerung ist die perfideste Form der Verneinung.

Dabei ist klar, dass die Polizei jede unter Sicherheitsaspekten problematische Positionierung eines Standes kraft Amtes sofort unterbinden würde. Nein, offenbar hat die rot-rote politische Führung der Stadt Sorge, den „Pro-Reli“–Leuten könne es zu schnell gelingen, die benötigten 170 000 Unterschriften zusammenzubekommen. Dann würde es nämlich für den Senat und das Abgeordnetenhaus eng: Da diese Initiative, anders als jene für die Offenhaltung von Tempelhof, die Finanzhoheit von Regierung und Parlament nicht tangiert, könnten beide das Ergebnis des Bürgervotums nicht einfach negieren.

Ohnedies ist die Berliner Situation absurd, die Lage nur noch mit der in Bremen zu vergleichen, wo Religion ebenfalls kein ordentliches Lehrfach ist. Einem nur noch fakultativen Unterrichtsfach, das sieht man seit Jahren, werden sich die Schüler irgendwann entziehen, weil es ihnen die seit der Schulreform noch knapper gewordene Freizeit weiter einengt.

Mit dieser Methode ist es der SED komplett und West-Berliner Landesregierungen weitgehend gelungen, die Region ziemlich frei vom Christentum zu machen. Ob das der moralischen Festigung und der Verankerung ethischer Prinzipien in der Gesellschaft im Osten Deutschlands geholfen hat, mag jeder selbst beurteilen.

Nach übereinstimmender Ansicht gibt es einige zentrale Entwicklungen der vergangenen zwei Jahrtausende, die das Abendland geformt haben. Dazu gehören die Fundamente des Judentums, die griechische Philosophie, das römische Recht, die Prinzipien der französischen Revolution, die Aufklärung – und das christlich geprägte Menschenbild.

Wenn man in Berlin meint, sich von einem Teil dieses geistig-kulturellen Erbes verabschieden zu müssen, geschieht das aus der Angst vor etwas, was man nicht versteht und von dem man nichts weiß, weil man sich nie ernsthaft damit beschäftigt hat. Der Hass auf die Religion als etwas, das dem Staat die totale Kontrolle über seine Bürger entzieht, hatte im Europa des 20. Jahrhunderts freilich Tradition weit über Berlin hinaus.

Gerd Appenzeller

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