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Konkurrenten. Wahlplakate von der amtierenden Bundeskanzlerin Angela Merkel über dem des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück.

© dpa

Bundestagswahl 2013: Unbequeme Wahrheiten über Große Koalitionen

Droht Deutschland eine Große Koalition? Ganz unwahrscheinlich ist das im Moment nicht, und offenbar hätte auch knapp ein Viertel aller deutschen Wähler nichts dagegen. Doch das wäre nicht gut für dieses Land - aus mehreren Gründen.

Sie ist wieder in aller Munde, die Große Koalition. Die Kanzlerin schließt sie nicht aus. Wie soll sie auch, schließlich hat sie von 2005 bis 2009 das Land anders als mit der FDP weitgehend reibungslos regiert. Auch für die SPD gilt: Je näher der Wahltag rückt, desto größer wird der Druck, gegebenenfalls erneut vier Jahre mit CDU und CSU zu regieren. An einen Wahlsieg von Rot-Grün glaubt sowieso niemand mehr, wohl auch kaum ein Sozialdemokrat.

Die Wähler wollen das Bündnis der großen Parteien sowieso. Nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Infratest-dimap plädieren 23 Prozent der Deutschen für eine Große Koalition nach der Bundeswahl, nur jeweils 17 Prozent votieren für Rot-Grün oder Schwarz-Gelb. Zudem würde die Mehrheit der CDU-Wähler eine Koalition mit der SPD dem Bündnis mit der FDP vorziehen.

Doch so richtig nachvollziehen lässt sich die Sehnsucht nach der Großen Koalition nicht. Auch für die SPD und Union gibt es gute Gründe, einer Neuauflage der Großen Koalition skeptisch gegenüberzustehen:

1.      Großen Koalitionen sind keine demokratische Ausnahme mehr

Eigentlich soll die Große Koalition in der Parteiendemokratie eine große Ausnahme darstellen. In der alten Bundesrepublik gab es von 1966 bis 1969 im Bund nur ein Bündnis von Union und SPD. Und in den Ländern nur ab 1966 in Baden-Württemberg und ab 1967 in Niedersachsen. Doch mittlerweile tönt der Ruf nach einem Bündnis von Union und SPD immer häufiger. Auch in den Ländern ist es selbstverständlich geworden, dass CDU und SPD miteinander regieren, derzeit in fünf der sechszehn Bundesländer: Berlin, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Thüringen und Saarland.

Die Häufung von Großen Koalitionen ist eine unmittelbare Folge des Vielparteiensystems und des angespannten Verhältnisses von SPD und Linke. 

2.      Ein nicht mehr funktionierender Föderalismus könnte die Große Koalition erzwingen

Seit in den Bundesländern unterschiedliche Bündnisse regieren, wird die Mehrheitsbildung im Bundesrat immer schwieriger. Es ist weiterhin nicht ausgeschlossen, dass CDU, CSU und FDP am 22. September ihre Macht im Bund verteidigen und weitere vier Jahre die Bundesregierung stellen werden. Das Land regieren werden sie alleine nicht können, denn die Oppositionsparteien SPD, Grüne und Linke verfügen im Bundesrat über eine Zweidrittelmehrheit und können somit die Gesetzgebung des Bundestages vollständig blockieren.

Schwarz-Gelb verfügt im Bundesrat nur über 15 von 69 Stimmen. Eine bürgerliche Regierung wäre also auf die föderale Kooperation mit FDP und Grünen angewiesen. Rot-Grün geht es etwas besser, diese Koalition verfügt im Bundesrat über 28 Stimmen und könnte damit zumindest Einsprüche des Bundesrates gegen nicht-zustimmungspflichtige Gesetze zurückweisen. Schwarz-Grün übrigens verfügt im Bundesrat derzeit über keine einzige Stimme, allein das macht ein Bündnis aus Union und Grünen nach der Bundestagswahl unwahrscheinlich.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass allein die bunten Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat eine Große Koalition erzwingen, weil das Land sonst unregierbar wird. Für die Demokratie in Deutschland wäre dies alles andere als wünschenswert.

 3.      Von der Großen Koalition profitiert vor allem der große Koalitionspartner

„Opposition ist Mist.“ Das Zitat des ehemaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering ist mittlerweile Legende. Doch in Wirklichkeit kann auch eine große Koalition ein ziemlicher Mist sein, vor allem für den kleinen Koalitionspartner. Denn in der Regel straft der Wähler den Juniorpartner in einer Großen Koalition mehr ab  – also in der Regel die Sozialdemokraten. Das war nicht nur 2009 im Bund so, als die SPD nach vier Jahren Großer Koalition auf 23 Prozent abstürzte, sondern zuvor auch in Berlin, Thüringen oder Baden-Württemberg. In Brandenburg und Bremen hingegen, wo die SPD das Bündnis mit der CDU führte, war jeweils die CDU die Leittragende.

4.      Der Juniorpartner in einer großen Koalition braucht ein Ausstiegsszenario, sonst sitzt er in der Falle

Mehr als einmal haben Parteien mittlerweile in den Ländern die Erfahrung gemacht, dass für sie kein Weg mehr aus der Großen Koalition herausführt. Vor allem für die SPD ist das Bündnis immer dann eine Falle, wenn sie keine alternative Machtoption hat. In Sachsen-Anhalt und Thüringen etwa ist die SPD in der Wählergunst deshalb mittlerweile so tief gesunken, dass sie hinter der Linken sogar nur noch drittstärkste Partei sind.

In Mecklenburg-Vorpommern 1998 und in Berlin 2001 hingegen konnte sich die SPD erfolgreich aus der misslichen Rolle des Juniorpartners der CDU befreien, weil es ihr gelang, das Verhältnis zur damaligen PDS zu normalisieren. Die rot-roten Koalitionen in beiden Ländern sind mittlerweile Geschichte. Aber in den Großen Koalitionen, die in beiden Ländern wieder regieren, stellt jetzt die SPD den Ministerpräsidenten und die Union steckt in der Rolle des Juniorpartners. Die CDU sollte über die missliche Lage der SPD also nicht allzu sehr frohlocken.

1969 nutzte die SPD im Übrigen die Große Koalition, um das sozialliberale Bündnis einzufädeln. Zehn Jahre regierte die SPD anschließend mit der FDP. In den nächsten vier Jahren könnten die Sozialdemokraten in der Großen Koalition eine Zusammenarbeit mit Grünen und Linken vorbereiten und sich so längerfristig die Macht sichern. CDU und CSU sollten also gewarnt sein und nicht leichtfertig das vermeintlich bequeme Regierungsbündnis mit der SPD anstreben.

5.      Große Koalitionen blockieren politische Reformen

Immer wieder ist das Motto zu lesen, große Koalitionen lösen große Koalitionen. Das galt schon nur sehr begrenzt für die Bonner Große Koalition von 1966 bis 1969. Der gelang es zwar, die schwächelnde Wirtschaft wieder anzukurbeln und die Neuverschuldung einzudämmen, aber darüber hinaus setzten Kanzler Kurt Georg Kiesinger und sein Vize Willy Brand wenig politische Akzente. Die Große Koalition von 2005 traute sich wenig, immer wieder blockierten sich die Interessengruppen beider Parteien gegenseitig. In Erinnerung blieben nur die Mehrwertsteuererhöhung und die Rente mit 67. Ansonsten dominierte vor allem Stillstand. Sowohl Rot-Grün (z.B. Homoehe, Hartz-Reformen) von 1998 bis 2005 als auch Schwarz-Gelb (z.B. Abschaffung der Wehrpflicht, Energiewende) seit 2009 haben wesentlich mehr heiße politische Eisen angefasst.

Auch das Thema Euro eignet sich nicht als Rechtfertigung für eine Große Koalition, denn in Sachen Euro-Rettung  haben die Oppositionsparteien SPD und Grüne in den letzten vier Jahren in der Regel mit der Regierung gestimmt.

6.      Große Koalitionen machen die kleinen Parteien und die politischen Ränder stark

Die Große Koalition von 1966 bis 1969 war die Geburtsstunde der Außerparlamentarischen Opposition, aus der später als politische Konkurrenz im Lager der SPD die Grünen hervorgingen. Nach der zweiten Auflage der Großen Koalition konnten alle drei kleinen Parteien deutlich zulegen und die 10-Prozent-Marke überspringen. Union und SPD hingegen repräsentieren seit 2005 zusammen nur noch 55,8 Prozent der Wähler. Vor allem die CDU läuft in einer Großen Koalition Gefahr, dass sich am rechten Rand des Parteiensystems eine neue konservativ-populistische Partei etabliert.

Es mag sein, dass eine Große Koalition für Union und SPD nach der Bundestagswahl der bequemere Weg ist. Zumal dann, wenn Schwarz-Gelb und Rot-Grün eigene Mehrheiten verfehlen und beide großen Parteien die Mühen einer Drei-Parteien-Regierung scheuen. Aber leichtfertig sollten sie diesen Weg nicht gehen. Die Demokratie lebt von den politischen Auseinandersetzungen zwischen den politischen Lagern, zwischen den großen Parteien. Deshalb sollte eine Große Koalition wieder zu absoluten politischen Ausnahme werden.

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