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Ein ungleiches Brüderpaar: Fidel (l.) und Raul Castro.

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Gastkommentar: Die einbetonierte Revolution

Fidel Castro veröffentlicht seine Memoiren, sein Bruder Raul kündigt ein bisschen Marktwirtschaft an. Doch die Castro-Brüder wollen keine Wende – sondern Machterhalt.

Zumindest optisch hat sich in Kuba etwas verändert: Raul Castro, der sonst stets im grünen Kampfanzug auftritt, zeigte sich in Anzug und Krawatte den zum Jubeln abkommandierten Massen. Fidel Castro hingegen, seit seinem Rücktritt auf Raten meist im Pyjama oder Jogginganzug zu sehen, absolvierte gleich mehrere Auftritte in Uniform und behauptete, passend dazu, physisch wieder fit zu sein – schwer glaubhaft bei akutem Darmkrebs. Und um die Verwirrung vollkommen zu machen, kündigte Raul Castro marktwirtschaftliche Reformen an, die, westlichem Wunschdenken zufolge, die Rückkehr zum Kapitalismus beinhalten – oder wenigstens das behutsame Öffnen einer seit Jahrzehnten verschlossenen Tür.

Bei Licht betrachtet, hat sich wenig verändert in Kuba – trotz der Entlassung von 52 Dissidenten, die durch Vermittlung der katholischen Kirche und der spanischen Regierung nach Madrid ausfliegen konnten. Auch die Tatsache, dass die Kubaner in Zukunft Mini-Unternehmen gründen und Angestellte beschäftigen dürfen, ist nicht so sensationell, wie es auf den ersten Blick scheint. Alles schon da gewesen: Nach dem Massenexodus kubanischer Boat-People, die 1994 auf selbst gebastelten Flößen vor wirtschaftlicher Not und politischer Unterdrückung flohen, wurden zaghafte Reformen angekündigt: Die Öffnung privater Restaurants zum Beispiel sowie privater Bauernmärkte, die Obst, Gemüse und Fleisch zu horrenden Preisen verkauften. Viele der paladares (Gaumen) genannten Restaurants verschwanden wieder von der Bildfläche, weil deren Besitzer nur Familienangehörige beschäftigen durften und, unabhängig vom Umsatz, exorbitante Steuern zahlen mussten. Nur wer gute Beziehungen zur Nomenklatura hat oder einen direkten Draht zu den Behörden, behauptet sich auf Kubas bürokratisch reguliertem, nur theoretisch freiem Markt.

Der nächste Reformschub verlief im Sande, als Raul Castro nach dem Rückzug seines Bruders ankündigte, brachliegendes Land dürfe von privaten Bauern bewirtschaftet werden und Kubaner, die es sich leisten können, dürften fortan in Devisenhotels übernachten. Derlei kosmetische Chirurgie macht die Kommandowirtschaft nicht erträglicher.

Hans Christoph Buch.

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Im Gegenteil – die Versorgung der Bevölkerung ist heute schlechter denn je. Obwohl vor der Küste Öl gefunden wurde und Hugo Chavez’ Kubas marodes System subventioniert, ist die Staatsverschuldung auf zwanzig Milliarden Dollar gestiegen. Obamas Entspannungssignal führte nicht zur Aufhebung des US-Embargos, und die Arbeitsteilung zwischen den Castro-Brüdern ist so unklar wie eh und je. Raul Castro war nie der liberale Reformer, den man im Westen in ihm sah: Anders als der machiavellistische Realpolitiker Fidel ist Raul ein ideologischer Betonkopf, der pragmatische Reformen nur unter äußerem Druck und immer nur auf Abruf zulässt nach dem Lenin’schen Motto: „Zwei Schritte vor und drei Schritte zurück.“ Was dem jüngeren Bruder an politischem Charisma fehlt, hat er durch lückenlose Kontrolle des Sicherheitsapparats, einschließlich der Armee, kompensiert. Im kubanischen Kontext ist Raul ein Stalinist, Fidel Castro aber ein revolutionärer Romantiker. Was beide eint, ist der Machterhalt um jeden Preis; notfalls gehen sie dabei über Leichen, wie die Hinrichtung des populären Generals Ochoa zeigte, der in einem Schauprozess als angeblicher Drogenhändler zum Tode verurteilt wurde. Die zögerliche Rückkehr zur Marktwirtschaft wird diktiert durch die Notwendigkeit, unproduktive Arbeiter und Angestellte aus Staatsbetrieben zu entlassen – die Rede ist von 100 000 Menschen –, für die der private Sektor als Auffangbecken dienen soll. Die Legitimation des kubanischen Auslaufmodells als Alternative zur westlichen Ellbogengesellschaft wird dadurch hinfällig.

Der Autor veröffentlichte zuletzt den Roman „Reise um die Welt in acht Nächten“ sowie den Essay-Band „Das rollende R der Revolution - Lateinamerikanische Litanei“.

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