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Wut, Trauer und Fassungslosigkeit in Norwegen nach den Anschlägen von Attentäter Breivik.

© Reuters

Gastkommentar: Norwegen: Der erste rechtspopulistische Anschlag

Europas "neue Rechte" bildet nicht nur das ideologische Umfeld des Attentäters vom 22. Juli, sagt Nordeuropa-Experte Carsten Schymik. Sie diente Breivik auch als Inspirationsquelle für seinen Kreuzzug.

Wie ist der Norweger Anders Breivik zum Massenmörder geworden? Nach allem, was bisher über seinen Werdegang und das Motiv seiner Tat vom 22. Juli bekannt geworden ist, hat er allein und außerhalb organisierter Strukturen gehandelt. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich Breivik in einem politischen oder ideologischen Vakuum zum Terroristen entwickelt hat.

Dabei entspricht sein Handeln nicht dem eines klassischen Rechtsextremisten oder Nazis. Deren Gewalt richtet sich meist direkt gegen die für fremd und minderwertig Erklärten. Breivik aber nahm nicht Muslime ins Visier, vielmehr galt der Anschlag in Oslo dem norwegischen Staat, das Massaker von Utøya zielte auf die sozialdemokratische politische Elite des Landes.

Breiviks Wahl der Ziele schließt somit eher an die Gewalt des linksextremistischen Terrors der 1970er Jahre an. Gruppen wie die Rote Armee Fraktion in Deutschland oder die Roten Brigaden in Italien richteten sich primär gegen ein als faschistisch denunziertes System und dessen Repräsentanten in Politik und Wirtschaft, ihre Gewalt aber traf vor allem einfache Bürger. Im Sinne dieser Stoßrichtung ist Breiviks Tat eher in der Kontinuität des Linksextremismus des 20. Jahrhunderts zu analysieren als in der des Rechtsextremismus des frühen 21. Jahrhunderts.

Der erstarkende Rechtspopulismus ist ein gesamteuropäisches Phänomen

Diese Analogie hilft, die Entwicklung hin zum 22. Juli besser zu erkennen. In den 70er Jahren radikalisierten sich aus Wut über staatliche Repression und Frust über mangelnden Revolutionsgeist Teile der 68er-Bewegung, die sich zunehmend in einer kriegerischen Auseinandersetzung mit einem verhassten System wähnten und schließlich den Schritt in den Untergrund und den bewaffneten Kampf machten. Breiviks Werdegang zum Terroristen folgt offenbar demselben Muster. Auch er wertet seine Tat als Kriegshandlung, weshalb er meint, den Massenmord als grausam, aber notwendig rechtfertigen zu können. Auch er sieht auf einen längeren Prozess der Radikalisierung zurück; allein die Vorbereitung der Anschläge dauerte nach seinen Angaben neun Jahre. Und schließlich hat sich Breivik ebenfalls durch Entfremdung von einer breiteren Bewegung radikalisiert – der „neuen Rechten“, die in Europa heute vor allem von rechtspopulistischen Parteien verkörpert wird.

Der erstarkende Rechtspopulismus ist ein gesamteuropäisches Phänomen, besonders gilt dies jedoch für die nordischen Länder. Seit Herbst 2010 sind die „Schwedendemokraten“ in Stockholm das parlamentarische Zünglein an der Waage für eine bürgerliche Minderheitsregierung. Im Frühjahr 2011 wurden die „Wahren Finnen“ zur drittstärksten politischen Kraft und größten Oppositionspartei des Landes. In Dänemark toleriert Pia Kjærsgaards Dänische Volkspartei seit 2001 eine liberal-konservative Minderheitsregierung – im regelmäßigen Austausch gegen substantielle politische Zugeständnisse wie jüngst die Wiedereinführung systematischer Grenzkontrollen.

In Norwegen wurde die Fortschrittspartei bei der Wahl 2009 mit 22,9 Prozent zweitstärkste parlamentarische Kraft. Sie war auf dem besten Weg, zusammen mit der konservativen Høyre auf die Regierungsübernahme nach den Wahlen 2013 hinzuarbeiten. Mit dem 22. Juli aber geriet sie in Erklärungsnot, weil Breivik ehemaliges Parteimitglied ist. Die Vorsitzende Siv Jensen wies nun jede Verbindung mit Breivik zurück: „Wir nehmen Abstand von allem, was er sagt und wofür er steht.“

Tun sie das wirklich? – Trotz offizieller Dementis aus den Parteizentralen der europäischen Rechtspopulisten und von islamfeindlichen Bloggern erfährt Breivik durchaus Zustimmung. Ein Kommunalvertreter der Schwedendemokraten schrieb wenige Tage nach dem Attentat, er empfinde keine Schuld oder Scham darüber, dass er Breiviks nationalistische Ideologie teile. Die eigentliche Ursache des Terrors sei die Masseneinwanderung und Islamisierung Europas. Ähnlich argumentierte ein Nationalratsmitglied der österreichischen FPÖ, während ein Politiker der französischen Front National Breivik als Ikone und wichtigsten Verteidiger Europas lobte. Auch der Europaabgeordnete Mario Borghezio von der italienischen Lega Nord befand, Breiviks Ideen seien gut, einige sogar ausgezeichnet.

Islamfeindlichkeit ist zur wichtigsten ideologischen Gemeinsamkeit geworden

Derartige Äußerungen sind kein Zufall. Tatsächlich dürften weite Teile der rechtspopulistischen Parteien und Bewegungen Breiviks Gedankengut in zentralen Punkten gutheißen, selbst wenn sie seine Gewalttat verurteilen. Dies trifft vor allem auf seine ausgeprägte Islamfeindlichkeit zu, die zur wichtigsten ideologischen Gemeinsamkeit der europäischen Rechtspopulisten geworden ist.

In deren Reihen wurde Breivik politisch sozialisiert. Zehn Jahre lang engagierte er sich als Mitglied der Jugendorganisation der Fortschrittspartei auf kommunaler Ebene. Zudem war er in der rechten Bloggerszene aktiv, deren Gedankengut er sich größtenteils aneignete, wie seine 1500-seitige Rechtfertigungsschrift eindrucksvoll belegt. Breivik teilte jedoch nicht nur das Gedankengut der Rechtspopulisten, sondern auch ihre Denkweise. Der (rechts-)populistische Diskursstil hebt auf einfache Gegensatzpaare ab, zum einen zwischen Volk und Elite („wir hier unten gegen die da oben“) und zum anderen zwischen dem eigenen Volk und den Fremden („wir gegen die anderen“). Mit Hilfe dieser simplifizierenden Dichotomien vermeinen Rechtspopulisten die ganze Welt erklären zu können, egal wie komplex und kompliziert sie im Zeichen der Globalisierung geworden ist.

In den Schriften Breiviks kommt diese Denkweise nahezu in Reinform zum Ausdruck. „Die da oben“ sind die Sozialdemokraten als führende politische Kraft Norwegens. Diese „Marxisten“ sind seiner Meinung nach verantwortlich dafür, dass Norwegen und Europa von „den anderen“ – sprich: „Muslimen“ – allmählich überfremdet werden. Deshalb sollte sich sein selbst erklärter Kreuzzug zunächst gegen den norwegischen Staat und seine sozialdemokratische Elite richten.

Die rechtspopulistische Denkweise verleitet zudem zur Konstruktion von Verschwörungstheorien. In rechten Internetforen wimmelt es davon sowie von dunklen Prophezeiungen, Europa stünde am Vorabend eines Bürgerkriegs zur Verteidigung gegen die Islamisierung. Der Gleichklang mit Breiviks Pamphlet ist auch in dieser Hinsicht auffallend stark. Offenbar wollte Breivik nun in diesem Sinne handeln. Dabei hat er den anti-islamischen Diskurs beim Wort genommen hat und ist zur Tat geschritten, um die oft beschworenen Prophezeiungen eines europäischen Bürgerkriegs zu erfüllen. Der von ihm verübte Bombenanschlag in Oslo und das Massaker auf Utøya mit insgesamt 77 überwiegend jugendlichen Toten ist daher der erste Terrorakt, der dem europäischen Rechtspopulismus angerechnet werden muss.

Carsten Schymik forscht an der Stiftung Wissenschaft und Politik zur europäischen Integration Nordeuropas. Die SWP berät Bundestag und Bundesregierung in allen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik. Sein Beitrag erscheint auf der SWP-Homepage unter der Rubrik “Kurz gesagt

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