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Meinung: Ars, quo vadis?

Zum Interview mit Horst Bredekamp vom 16. Juli und zur geplanten zeitweiligen Einkellerung von Teilen der Berliner Gemäldegalerie Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hat der Anschlag auf die Berliner Gemäldegalerie eingeschlagen – der Donner ließ nicht auf sich warten.

Zum Interview mit Horst Bredekamp vom 16. Juli und zur geplanten zeitweiligen Einkellerung von Teilen der Berliner Gemäldegalerie

Wie ein Blitz aus heiterem Himmel hat der Anschlag auf die Berliner Gemäldegalerie eingeschlagen – der Donner ließ nicht auf sich warten. Weltweit hat es Proteste gehagelt. Doch verwundert, wie wenig Fantasie bisher aufgeboten wird, um sowohl die Unversehrtheit der Gemäldegalerie zu wahren als auch die Unterbringung der Sammlung Pietzsch zu ermöglichen. Nur mit diesem doppelten Ziel vor Augen lässt sich jener

unheilvolle Streit Gegenwart versus Vergangenheit vermeiden.

In den Kommentaren wurde kaum bedacht, dass es nicht um die Gemäldegalerie allein geht: Leiden würde vor allem auch das Bode-Museum. Diese hervorragende Skulpturengalerie kann heute unmöglich größere Teile der Gemäldegalerie aufnehmen; Ausstellungsvorhaben würden zunichte gemacht, die Bestände der permanenten Sammlung in großem Umfang in die Magazine verbannt. Man kann nicht einfach zu Bodes Konzept zurückkehren – vor hundert Jahren war der Bestand ungleich geringer. Totgeschwiegen wird auch, dass am gegenwärtigen Standort der Galerie, am Kulturforum, neben der Neuen Nationalgalerie immerhin auch das Kunstgewerbemuseum, das Kupferstichkabinett und die Kunstbibliothek angesiedelt sind, wodurch gerade das gefördert wird, was die Befürworter des Umzugs wollen, die Verbindung von Gegenwart und Vergangenheit – wer umziehen will, müsste auch diesen drei Sammlungen zu einem Standort in der Mitte verhelfen. Die Pläne für das Stadtschloss sind noch immer nicht ausgegoren; auch da böten sich gute Auswege an. Vor allem aber gehen Kulturminister und Stiftung gern großzügig über den entscheidenden Faktor hinweg: Ob auf der Rückseite des Hamburger Bahnhofs, auf den beiden Grundstücken neben der Neuen Nationalgalerie oder gegenüber dem Bode-Museum gebaut wird – solche Pläne brauchen Zeit. Unterstellungen trüben überdies den Blick: Wer die Proteste gegen die Magazinierung von Teilen der Gemäldegalerie unterschrieben hat, muss nicht zwangsläufig Gegner der Moderne sein und plädiert damit auch nicht für den dauerhaften Verbleib der Galerie am Kulturforum. Wer die (so der Generaldirektor) nicht weniger als zehnjährige Verbannung vieler Bilder der Gemäldegalerie in Kauf nimmt, um die Sammlung Pietzsch unterzubringen, muss kein prinzipieller Feind alter Kunst sein. Auch muss man nicht „Avantgardisten“ und „Präsentisten“ (mit den letzteren sind „Konservative“ gemeint) gegeneinander ausspielen wollen, wobei immer der Schreibende sich zum Hort

der Avantgarde erklärt.

Eines ist klar: Man kann das Problem nicht mit einer Einkellerung wichtiger Bestände der Gemäldegalerie beantworten. Daher sollte es beiden Seiten darum gehen, die weltberühmte Gemäldegalerie sichtbar zu halten und zugleich ein Domizil für die Sammlung Pietzsch zu finden. Dafür gibt es mehrere Optionen: Das Kronprinzenpalais ist als vorübergehender Standort für einen Teil der Gemäldegalerie im Gespräch. Dieser Ort kommt dafür überhaupt nicht infrage (welchen Teil der Galerie möchte man denn auf diese Weise absondern?), wohl aber für die Sammlung Pietzsch. Da das Kronprinzenpalais einst (von 1919 bis 1937) als Abteilung der Nationalgalerie das weltweit erste Museum für die Moderne, die sogenannte „Galerie der Lebenden“, beherbergte, würde die Sammlung Pietzsch dadurch geradezu nobilitiert. Sollte dies scheitern, könnte eventuell die Gemäldegalerie vorübergehend zwei Säle abgeben, in denen in Wechselausstellungen Teile der Sammlung Pietzsch gezeigt werden (mit dem Ziel eines späteren Neubaus). Wechselausstellungen dieser Art würden überdies der Gemäldegalerie weitere Besucher zuführen. Auch könnte die große leere Eingangshalle der Gemäldegalerie durch Zwischenwände bespielbar gemacht werden, so dass dort (nach klimatechnischer Umrüstung) wohl alle rund 150 zum Teil kleinformatigen Gemälde von Pietzsch provisorisch gezeigt werden könnten. Das käme der vielfach propagierten Durchmischung zugute, ohne dass man darum die immer noch mögliche Aufnahme der Gemäldegalerie in das Stadtschloss als „Rückschritt“ kennzeichnen muss; dort ließen sich ja ebenfalls Mischkulturen inszenieren. Schließlich könnte man der Sammlung Pietzsch vorübergehend die Studiengalerie im Untergeschoss der Gemäldegalerie zur Verfügung stellen. Das würde die Schauräume nicht beeinträchtigen und der Sammlung Pietzsch trotz des Provisoriums ein eigenes Ambiente verleihen. Dieser Vorschlag ist mehr als nur ein pragmatischer Kompromiss. Er geht von der Prämisse aus, dass es richtig und notwendig ist, Alt und Neu zu verbinden. Er setzt zudem voraus, dass keines dem anderen zu weichen habe, und sei es „nur“ für ein Jahrzehnt, aus dem leicht zwei werden können. Nur dann kann eine großzügige Schenkung moderner Kunst, die fühlbare Lücken schließen würde, der Allgemeinheit zugute kommen und zugleich eine Gemäldegalerie, die zu den zwölf besten der Welt gehört, ihren bleibenden Wert ungemindert zur Schau stellen. Gerade in Zeiten der Krise sollte Deutschland sich seiner kulturellen Verantwortung bewusst bleiben, ohne dem Neuen auszuweichen.

— Prof. Dr. Klaus Herding, Goethe-Universität

Frankfurt, Kunstgeschichtliches Institut

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