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Meinung: Auch Kanzler haben Rechte Von Jost Müller-Neuhof

Die Aufarbeitung der StasiVergangenheit ist an einem Mittwoch im Juni 2004 von einer Hand voll stockkonservativer Richter zu Grabe getragen worden, die ihrem alten Patron Helmut Kohl einen letzten Dienst erweisen wollten. Das ist die eine Version der Geschichte.

Die Aufarbeitung der StasiVergangenheit ist an einem Mittwoch im Juni 2004 von einer Hand voll stockkonservativer Richter zu Grabe getragen worden, die ihrem alten Patron Helmut Kohl einen letzten Dienst erweisen wollten. Das ist die eine Version der Geschichte. Die andere: Jeder Mensch hat Grundrechte, auch Helmut Kohl, und die verbieten es, über Jahrzehnte erspitzelte Informationen eines üblen Geheimdienstes unter Journalisten herumzureichen, als handele es sich um alte Zeitungsausschnitte. Womöglich steckt ein wenig von beidem in dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts; Tatsache ist: Wir werden über Helmut Kohl nicht viel mehr erfahren, als wir ohnehin schon wissen – und auch das Leben anderer bespitzelter Amtsträger und Prominenter wird nicht mit Hilfe der Unterlagen in ein neues Licht gestellt.

Das Urteil überrascht nur in seiner Deutlichkeit. Schon vor zwei Jahren hatten die Richter erklärt, es gebe keinen Spielraum für eine Regelung, die Kohls Akten in großem Umfang zugänglich machen könnte. Diesen Hinweis ignorierte die Stasi-Unterlagenbehörde beharrlich und betrieb die Änderung des Gesetzes. Was sie danach als Erfolg sah, war freilich keiner. Auch das neue Gesetz legt großen Wert auf die Grundrechte Bespitzelter und trägt dem Charakter als Opferschutzgesetz Rechnung. Dass auf der politischen Ebene damals der Eindruck erweckt wurde, es ginge Kohl an den Kragen, war Show. Die Politik wollte keine Generaldebatte um die Stasi-Aufarbeitung anzetteln – auch wenn sie 14 Jahre nach der Wiedervereinigung vielleicht nötig gewesen wäre.

Die Stasi-Akten müssen zugänglich bleiben – für die Betroffenen selbst. Mittäter, Mitläufer und Denunzianten durften und dürfen keine Schonung erwarten. Aber wer Opfer war, muss keine Aktenöffnung dulden. Die Akten sollen der Aufarbeitung dienen, nicht der Abrechnung. Es hat dem Konflikt nicht gut getan, dass er politisch instrumentalisiert wurde. Erst klagte Birthler, man wolle wohl die Westler laufen lassen, dann machte sie die Zukunft ihrer Behörde von der Causa Kohl abhängig, unterstützt von einer in dieser Sache nicht ganz uneigennützigen Presse. Richtig ist beides nicht. Birthler ist eine ganz normale Behördenchefin. Behörden können nicht schalten und walten wie sie wollen. Sie haben Gesetz und Grundrechte zu respektieren. Nicht mehr hat das Gericht gestern deutlich gemacht.

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