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Auf den Punkt: Die Kunst des Kompromisses

Christoph von Marschall zu Obamas Afghanistan-Strategie

Es wäre einfach, die neue Afghanistan-Strategie des US-Präsidenten als widersprüchlich abzutun, als Ansammlung fauler Kompromisse. Er wollte ein Friedenspräsident sein, aber setzt wie Kriegspräsident Bush auf mehr Truppen. Gleichzeitig kündigt er aber schon den Beginn des Rückzugs für Juli 2011 an, als nehme er sein Versprechen, „den Job zu Ende zu bringen“, nicht ernst. Er möchte mehr Verantwortung an die afghanische Regierung abtreten, obwohl er die als korrupt und ineffektiv beschreibt. Zudem habe er die Amerikaner nicht überzeugt, wie man an den verhaltenen Reaktionen in der Militärakademie West Point habe merken können. Nur fünf Mal gab es Beifall in der 35-minütigen Rede, sehr wenig für solch einen herausgehobenen Präsidenten-Auftritt.

Doch diese Art von Kritik wäre zu einfach, sie wäre wohlfeil. Wer die Lage analysiert und aufrichtig fragt – was würde ich an seiner Stelle tun? -, wird mehr Verständnis aufbringen. Obama macht das Beste aus einer verfahrenen Situation. Er kann sich zudem nicht allein danach richten, was – isoliert betrachtet – das Optimale für Afghanistan wäre. Sondern er muss seine Pläne in Einklang bringen mit der finanziellen Lage der USA mitten in der Wirtschaftskrise, den Mehrheitsverhältnissen im Kongress sowie dem Wissen, dass er weder in Afghanistan noch in Pakistan verlässliche Partner hat.

Ebenso widersprüchlich ist im Übrigen die Kritik. Wenn die Republikaner bemängeln, er schicke zu wenig Soldaten, und viele Demokraten, er sende zu viele, hat er vielleicht doch nicht alles falsch gemacht. Wenn Verbündete in der Analyse übereinstimmen, die Lage am Hindukusch drohe außer Kontrolle zu geraten, aber dennoch selbst nicht mehr tun wollen, haben sie ein größeres Glaubwürdigkeitsproblem als Obama.

Mehr Soldaten sind nötig, weil die militärische Lage in Afghanistan sich beständig verschlechtert hat. In den einzelnen Regionen bieten sich aber unterschiedliche Abhilfen ab. Im Südosten, an der Grenze zu Pakistan, wo die Taliban ihre Rückzugsräume haben, ist deren verstärkte Bekämpfung richtig. In anderen Provinzen dagegen die Kooperation mit den lokalen Stammesführern. Mehr US-Truppen werden zudem für die Ausbildung afghanischer Armee und Polizei gebraucht. Erst wenn die sich aus eigener Kraft gegen Al Qaida und Taliban wehren, können US-Armee und Nato-Truppen abziehen. Das alles kostet, nämlich etwa 30 Milliarden Dollar zusätzlich pro Jahr allein für die US-Einheiten im Jahr. Diese Ausgaben müssen abgewogen werden gegen die wachsende Verschuldung der USA und innenpolitische Prioritäten. Schließlich kann man schlecht argumentieren, amerikanische Steuermilliarden sollen für Afghanistan ausgegeben werden, doch die USA könnten es sich nicht leisten, allen Bürgern eine Krankenversicherung anzubieten.

Ein Abzugsdatum zu nennen, mochte nach zwei oder drei Kriegsjahren falsch sein – unter dem Gesichtspunkt, dann wisse der Gegner, wie lange er noch aushalten müsse. Nach acht Jahren Kämpfen ist es richtig, weil es nun wichtiger ist, Druck auf Afghanistan (und Pakistan) auszuüben, damit sie selbst die Verantwortung übernehmen.

Die Militärakademie war ein sinnvoller Schauplatz für die Rede, weil Obama dort den jungen Kadetten, die demnächst ihr Leben in Afghanistan riskieren, Auge in Auge gegenüber trat und erklärte, warum ihr Land ihnen das zumutet. Und Gott sei Dank war dies keine Jubelrede, die den Krieg verherrlicht. Sondern eine nachdenkliche Abwägung, in der die Fehler des Vorgängers Bush offengelegt wurden, der den Krieg in Afghanistan vernachlässigt hatte, nachdem er Irak angegriffen und sich dort verrannt hatte. Und in der von weiteren Opfern Amerikas die Rede war. Das sind keine Themen für bewundernden Applaus.

Die meisten Amerikaner möchten Afghanistan so schnell wie möglich hinter sich lassen. Aber sie wissen auch, dass sie nicht Hals über Kopf abziehen können, sondern erst einmal mehr tun müssen. Obama plant einen Aufmarsch, der den Abzug vorbereitet. In einem Punkt klangen die Ausführungen des Präsidenten tatsächlich unrealistisch: Als er davon sprach, dass dies nicht allein Amerikas Krieg sei. Und dass er auch von den Nato-Verbündeten mehr Soldaten und größere Anstrengungen erwarte. Außer den Briten ist niemand zu sehen, der diesem Ruf Folge leisten möchte.

Obama hat eine Rede gehalten, die die Kunst des Kompromisses aufscheinen ließ. Die Frage ist nun, ob die Verbündeten in Europa mit ebenso hohem Verantwortungsbewusstsein reagieren.

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