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POSITIONEN: Auf Europa wird nicht mehr gehört

Kopenhagen hat gezeigt: Der europäische Kontinent verliert seinen Einfluss in der Welt

Nach dem Gipfel von Kopenhagen ist es an der Zeit, Schlussfolgerungen zu ziehen. Was ist letztendlich passiert auf diesem Gipfel, wer trägt die Schuld für das Scheitern? Einige Länder beklagen sich über die Organisation, andere meinen, einige wenige Entwicklungsländer hätten bewusst versucht, die Verhandlungen zu blockieren und Kopenhagen zu einer Lektion für die reichen Länder werden zu lassen.

Die wichtigste Frage aber ist: Sind wir noch in der Lage, zu wichtigen Vereinbarungen auf globaler Ebene zu gelangen? Wenn dies nicht beim Klimawandel gelingt – wo ein allgemeiner Konsens darüber besteht, dass Nichtstun die Situation für einen großen Teil der Menschheit dramatisch verschlechtert – wann soll es dann gelingen? In jedem Fall ist klar, dass die Entscheidungsstruktur der Vereinten Nationen dringend gestärkt werden muss, wenn wir noch Vereinbarungen auf globaler Ebene erreichen wollen. Diese Feststellung ist nicht neu. Die Frage ist, wie oft wir noch scheitern müssen, bevor wir zu einer effektiven Arbeit kommen.

Was neu ist und auch überraschend, ist die Art und Weise, in der man nun zu einer Einigung gelangt ist. Am Verhandlungstisch versammelt war eine kleine Gruppe der wichtigsten Führer der Welt: Obama für die Vereinigten Staaten, Wen Jiabao für China, Singh für Indien, Lula für Brasilien und Zuma für Südafrika. Die Zusammensetzung dieser Gruppe ist von großer Bedeutung. Dies zeigt, dass sich die unipolare Welt in eine multipolare Welt verwandelt hat. Es gibt auch Anzeichen dafür, dass die großen aufstrebenden Volkswirtschaften nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische Macht anstreben. Dies ist der Anfang eines neuen Zeitalters der Imperien.

Diejenigen, die glauben, dass die neue Weltordnung noch auf sich warten lässt, werden sich wundern. Mehr als das: Sie sollten sich gut festhalten! Die neuen Imperien werden sich nicht nur mit wirtschaftlicher Macht zufrieden geben, sondern sie versuchen schnell militärische Macht zu erhalten. Sie werden sich über die Konflikte verständigen, in denen sie intervenieren. Es wird nicht überraschen, wenn erste Konsultationen auf der Ebene der G2 stattfinden: die Vereinigten Staaten und China. Sie entscheiden gemeinsam, ob diese oder jene Macht sich an Verhandlungen beteiligen darf oder nicht. Hier kommen wir zur vielleicht schockierendsten Schlussfolgerung von Kopenhagen: Europa war nicht an den Tisch der Großen geladen. Nicht ein europäisches Land, nicht Frankreich, nicht Deutschland und nicht Großbritannien. Und noch weniger die Europäische Union als solche.

Wer noch vor kurzem ein solches Szenario vorhergesagt hätte, wäre als naiver Pessimist bezeichnet worden. Heute ist es eine Realität: Europa wird von den großen Mächten nicht mehr gehört. In Kopenhagen waren wir nicht bis zum Ende mit dabei. Es ist hart, so geweckt zu werden.

Sollten wir nun unsere Bemühungen aufgeben und uns damit abfinden, dass unsere Zeit vorbei ist? Das ist vielleicht eine realistische Option, aber es ist auch gefährlich. Dies würde bedeuten, dass wir von nun an andere für uns entscheiden ließen. Dass die Argumente Europas für eine Welt der Demokratie und der Menschenrechte nicht mehr gehört werden. Ein solches Europa würde zunehmend die Schweiz der Welt.

So weit sind wir noch nicht. Aber für Europa ist Kopenhagen eine ernste Warnung. Das bringt uns mit beiden Füßen auf die Erde zurück und lässt uns unsere Illusionen verlieren. So werden die Länder Europas ohne die EU so gut wie keinen Platz am Tisch der wichtigsten Verhandlungen haben. Europa wird wirtschaftlich und politisch in der Welt ins Taumeln geraten, wenn wir uns nicht schnell entscheiden, mehr und besser zusammenzuarbeiten. Der Vertrag von Lissabon gibt uns die Mittel, um besser zu arbeiten. Deshalb müssen wir so schnell wie möglich eine europäische Diplomatie in Kraft setzen. Sie ist der Hebel, den wir verwenden sollten, um gehört zu werden. Darüber hinaus ist es dringend notwendig, sich an die Arbeit zu machen, eine europäische Wirtschaftsstrategie zu finden.

Kurz gesagt, ist Kopenhagen das Signal, dass die EU eine politische Union, eine politische Föderation werden muss. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben schlussendlich keine Wahl: Entweder sie machen ihre Stimmen über Europa hörbar oder man wird sie nicht mehr hören. Deutlicher könnte die Lektion von Kopenhagen nicht sein.

Der Autor war belgischer Premierminister und ist Vorsitzender der Liberalen im EU-Parlament.

Guy Verhofstadt

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