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Meinung: Austern für Hartz-IV-Empfänger

Roger Boyes, The Times

Ist Ihnen das auch schon aufgefallen? Blasse Haut ist offenbar wieder in Mode. Zumindest unter Politikern. Noch vor nicht allzu langer Zeit glaubten Politiker, so aussehen zu müssen wie Rolf Eden: frisch gegrillt. Wähler, so dachten sie offenbar, votieren nur für gesund aussehende Kandidaten, auch wenn das Solarium sie gelegentlich nach verkohltem Fleisch riechen ließ. Jetzt trauen sich nur noch Verlierer (Jörg Haider) oder Unglückselige, die kein deutsches Blut innehaben, braune Gesichter zu tragen.

Solarien sind ja im Übrigen politisch total unkorrekt, verbrauchen sie doch Unmengen an Energie. Auch mit dem EU-Parlament auf wichtige Missionen in die Karibik zu reisen, inklusive Ehefrau, um ein wenig Urlaubsbräune abzugreifen, verbraucht zu viel Kerosin und verschmutzt die Luft.

Mein ausgebleichter Look ist also wieder in. Dachte ich. Bis ich zu einem Dinner in die Austeria am Ku’damm ging, eine dieser vielen neuen Austern-Bars, die in letzter Zeit in Berlin aufmachen. Erst hier habe ich die wahren Folgen des Klimawandels wirklich verstanden. Alles, was ich wollte, war ein gut durchgegarter Fisch. Hintergrund der Verabredung war es, die Hauptfiguren meines neuen Buches My dear Krauts zusammenzubringen (erscheint im Ullstein Verlag, nach den strengen Bedingungen meines Vertrages mit dem Tagesspiegel darf ich nur alle drei Jahre Schleichwerbung machen, das tue ich hiermit!). Ich wollte jedenfalls meine Hauptfiguren davon abbringen, mich zu verklagen. Besonders machte ich mir Sorgen über den Mann, der im Buch unter dem Namen Harry Ball auftaucht.

Zusammen sind wir schon in schlimme, wie heißt es so schön, Schwulitäten geraten – so haben wir uns mal mit einem alten Kellner besoffen, der Hitler einmal Fleisch (ja, Fleisch) serviert hat. Auch an Schummeleien beim Berlin-Marathon erinnere ich mich – ja, manche Aktivitäten Harrys waren fast kriminell. Vielleicht hätte ich deshalb lieber nicht darüber geschrieben. So dachte ich mir: Lieber 100 Euro für ein gutes Essen als eine Anklage wegen Verleumdung, und das vor der strengen britischen Justiz.

Am Ende war das Essen angenehm preiswert. Warum? Harry und die anderen hatten Austern bestellt, und die sind – dank des Klimawandels – kein Luxusgut mehr, sondern mittlerweile billiger als ein Big Mac. In den Galeries Lafayette kriegt man zwei frische Austern schon für 1,50 Euro. Zu dem Preis könnten Austern zur Spezialdiät für Studenten und Hartz-IV-Empfänger werden: Spare Geld, verliere Gewicht, und – wenn die Geschichten stimmen – tue was für deine Libido!

So hat der globale Klimawandel endlich auch seine attraktive Seite. Die Nordsee wird immer wärmer, Austern vermehren sich wie die Unterwasserkarnickel – und eine Luxusspeise wird erschwinglich für jedermann. Unterdessen wird das klassische Essen der britischen Arbeiterklasse – fish and chips – zur Luxusware, weil das Wasser für den Kabeljau zu warm geworden ist.

Okay, ich weiß, meinen Argumenten mangelt es an Feinfühligkeit. Ich weiß, die Eisberge schmelzen, Bayern wird eine Wüste werden, schlimme Überschwemmungen werden uns heimsuchen. Andererseits: Denke positiv! Keine Eisberge = keine Titanics. Die Bayern werden schon lernen, statt Weißwurst Heuschrecken zu essen – und länger leben. Überschwemmungen? Dann bauen wir unsere Häuser eben in höheren Gefilden. Ist doch nicht so schlecht. Und die Sommer in Berlin dauern dann vier Monate oder noch länger, und wir essen Austern zum Frühstück, zu Mittag und zu Abend.

Klimakatastrophe? Lasst uns Spaß dran haben, ab jetzt.

Übersetzung: Sebastian Bickerich. –– Roger Boyes lädt alle unglücklichen Tagesspiegel-Leser ein, ihren Ärger an ihm abzulassen: Am Dienstag, dem 21. November, liest er ab 19 Uhr in der Reingold Bar (Novalisstr. 11, Berlin-Mitte, Eintritt frei) aus seinem neuen Buch My Dear Krauts. Das ist Ihre Chance, ihn mit Eiern zu bewerfen! Bitte nur Bio-Eier. Danke.

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