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Meinung: Begrenzt haltbar

Die USA müssen ihre überalterten Atom- waffen erneuern

Alexander S. Kekulé Das leidige Problem ist Liebhabern alter Autos bestens bekannt: Wenn Rost und Materialermüdung zuschlagen, sind Ersatzteile oft kaum zu bekommen. Die Stoßdämpfer, Wellen und Dichtungen von Anno dazumal werden nicht mehr hergestellt, neuere Teile passen nicht in die alten Karossen. Vollends desolat ist die Lage dann, wenn es den Hersteller gar nicht mehr gibt.

Die USA haben die Entwicklung strategischer Atomwaffen Ende der 80er Jahre eingestellt, der letzte Gefechtskopf wurde um 1990 gebaut. Die Modelle stammen größtenteils aus den 70er Jahren – damals waren sie so modern wie Plateauschuhe, der erste VWGolf und die Bee Gees. Heute haben die nuklearen Oldtimer, die einmal für eine Lebensdauer von etwa 15 Jahren konstruiert wurden, im Mittel zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, einige sind sogar wesentlich älter.

Fachleute beobachten das atomare Museum schon länger mit Sorge. Die etwa 10 000 nuklearen Gefechtsköpfe der USA sind durch Korrosion, Alterung von Kunststoffen und radioaktiven Zerfall angegriffen. Oft sind identische Ersatzteile jedoch nicht zu bekommen, weil die Werkstoffe von damals nicht mehr zur Verfügung stehen. Besonders problematisch sind organische Materialien wie Dichtungen, Klebstoffe, Plastikteile und der konventionelle Sprengstoff, mit dem die Zündung von Atombomben ausgelöst wird. Wenn allerdings immer mehr verschlissene Teile durch neue, veränderte Module ersetzt werden, muss die Funktionstüchtigkeit früher oder später einmal überprüft werden. Hier liegt das Problem der Atomingenieure: Sie dürfen mit ihren liebevoll gewarteten Oldtimern keine Probefahrt machen – seit dem Atomtestmoratorium von 1992 haben die USA keine Bombe mehr gezündet.

Da die alten Gefechtsköpfe ohnehin nicht eins zu eins ersetzt werden können, hat sich die US-Regierung kürzlich zu einem merkwürdigen Schritt entschlossen: Sie will stattdessen neue Atomwaffen entwickeln lassen. Ziel dieses „Reliable Replacement Warhead“ Programms sind möglichst wartungsfreie, robuste Kernwaffen mit langer Haltbarkeit, die auch in 50 Jahren noch mit tödlicher Sicherheit explodieren, wenn der US-Präsident es befiehlt. Offiziell soll die Entwicklung der atomaren Dauerbrezeln zunächst nur mit neun Millionen Dollar finanziert werden. Kritiker sehen darin jedoch eine gefährliche Trendwende.

Tatsächlich steht zu befürchten, dass das Projekt die Entwicklung von Atomwaffen auf breiter Front reaktivieren wird. Die Notwendigkeit realistischer Tests trifft für neue Technologien weit mehr zu als für restaurierte Altmodelle, deren Tauglichkeit immerhin jeweils mit mindestens sieben unterirdischen Atomtests überprüft wurde.

Die USA arbeiten deshalb an einem Arsenal von Hightechmethoden, um neue Kernwaffen auch ohne Bombentests zu entwickeln. In der Lawrence Livermore Atomschmiede in Kalifornien entsteht dafür die leistungsfähigste Laseranlage der Welt. Zur Simulation von Kernexplosionen sollen mit Hilfe von 192 hoch energetischen Laserstrahlen atomare Mini-Verpuffungen gezündet werden. Supercomputer berechnen aus den Daten dann dreidimensionale Modelle, nach denen neue Atomwaffen am Reißbrett entworfen werden können. Schließlich sollen die Neuentwicklungen dann eventuell doch unterirdisch getestet werden, wobei allerdings die Detonation durch starke Drosselung der Kettenreaktion verhindert wird.

Ob derartige Kernversuche ohne Explosion („zero-yield“) und die Laserexperimente gegen das internationale Teststoppabkommen von 1996 verstoßen, ist umstritten. Allerdings hat der US-Senat die Ratifizierung des Abkommens, das wesentlich weiter geht als das Moratorium von 1992, ohnehin verweigert. Auf die eigentlich nahe liegende Lösung des Oltimer-Problems kann deshalb leider nicht gehofft werden: Alte Autos werden verschrottet, alte Atombomben nicht.

Der Autor ist Institutsdirektor und Professor für Medizinische Mikrobiologie in Halle. Foto: J. Peyer

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