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Meinung: Berlin, beratungsresistent

Gibt es überhaupt eine europäische Arbeitsmarktpolitik? Die Staats- und Regierungschefs diskutieren seit 1997, wie sie die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in Europa besser abstimmen können.

Gibt es überhaupt eine europäische Arbeitsmarktpolitik? Die Staats- und Regierungschefs diskutieren seit 1997, wie sie die Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik in Europa besser abstimmen können. Doch wenn Entscheidungen über eine Koordinierung der Steuer-, Sozial- oder Arbeitsmarktpolitik anstehen, zucken sie zurück - als erster der Bundeskanzler. Auch der Frühjahrsgipfel in Barcelona in zehn Tagen wird keinen Durchbruch bringen. Praktische Beschäftigungspolitik wird national gemacht.

Also alles Etikettenschwindel: Hat die EU die "Beschäftigungsgipfel" nur erfunden, um den Bürgern zu signalisieren, Europa kümmere sich um die Probleme, die die Menschen beschäftigen? Die Staats- und Regierungschefs haben immerhin einen Kontrollmechanismus für die Arbeitsmärkte beschlossen, auch wenn der rechtlich unverbindlich ist. Danach müssen die Mitgliedstaaten jährlich nationale Aktionspläne nach Brüssel liefern. Die EU-Kommission analysiert und bewertet sie und empfiehlt den Regierungen detailliert, was sie verbessern können. Diese Berichte haben freilich nicht die Durchschlagskraft eines "blauen Briefs" zur Finanzpolitik. Sie werden zwar ebenfalls vom Rat beschlossen, dann jedoch von manchen Regierungen ignoriert, etwa der deutschen. In Spanien, das noch vor einigen Jahren unter einer horrenden Jugendarbeitslosigkeit litt, ist das anders.

Der routinemäßige Umgang vieler Medien mit der Massenarbeitslosigkeit erleichtert es der Bundesregierung, über die schlechten Noten für ihre Politik hinwegzusehen. Wird sich das unter dem neuen Chef der Bundesanstalt für Arbeit ändern? Wie Florian Gerster kritisieren auch die Autoren der Empfehlungen, dass ältere Arbeitnehmer in Deutschland zu früh den Arbeitsmarkt verlassen und die Anreize, eine Beschäftigung aufzunehmen, zu schwach sind. Außerdem wird eine Senkung der Steuern und der Lohnnebenkosten für niedrige Einkommen empfohlen. Vom Bündnis für Arbeit erwartet die EU flexiblere Arbeitsstrukturen und Arbeitszeiten sowie eine stärkere Differenzierung der Lohnstruktur.

Die Empfehlungen kommen nicht aus der Theorie, sondern orientieren sich an den Erfahrungen anderer EU-Staaten. Deutschland könnte davon profitieren. Die meisten EU-Mitgliedstaaten erreichen ihre Beschäftigungsziele offenbar trotz der Konjunkturschwäche, unter der alle leiden. Spanien hat die Arbeitslosenquote halbiert. Großbritannien, die Niederlande, Dänemark, Schweden haben ihre Arbeitsmärkte flexibilisiert und viel mehr Menschen in Beschäftigung gebracht als die Bundesregierung. Ihre Erfolgsrezepte: Deregulierung, Jobrotation, Weiterbildung und mehr Teilzeitarbeitsplätze.

Andere EU-Staaten wagen sich auch an Strukturreformen, vor denen sich Deutschland drückt. Frankreich führte die 35-Stunden-Woche ein, entschied sich für eine radikale Arbeitszeitverkürzung, die zumindest mehr Flexibilität brachte. Blairs These vom "welfare of work" geht davon aus, dass die langfristige soziale Absicherung nicht taugt, um die Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Der Bundesregierung fehlen die politischen Spielräume - das zeigen auch die negativen Reaktionen auf Gersters Vorschläge.

Mit Blick auf den Beschäftigungsgipfel in Barcelona fordern Blair, Silvio Berlusconi, Edmund Stoiber und Gastgeber Aznar eine weitere Liberalisierung der Arbeitsmärkte. Das ist also nicht das Ziel nur eines politischen Lagers. Was auch für die Passivität gilt: Ob Helmut Kohl oder Rot-Grün - die Bundesregierung schlägt die Erfahrungen der EU-Partner und die Empfehlungen aus Brüssel in den Wind. Fehlt ihr die Kraft oder der Wille zu Strukturreformen, die Menschen Beschäftigung bringen? In den Papieren der EU-Kommission taucht immer wieder ein Satz auf: Deutschland stagniert.

Mariele Schulze Berndt

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