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Meinung: Bildungspolitik: Die Handwerker-Schwemme

Einst galten die Deutschen als Volk der Dichter und Denker, der Erfinder und Ingenieure. Doch das ist vorbei, lange vorbei.

Einst galten die Deutschen als Volk der Dichter und Denker, der Erfinder und Ingenieure. Doch das ist vorbei, lange vorbei. Heute sind wir das Volk der Elektriker und Friseure, der Lackierer und KFZ-Mechaniker. In der beruflichen Ausbildung sind wir stark. Und das ist auch gut so. Doch was uns fehlt sind: Akademiker. Das bringt der jüngste OECD-Bericht klar an den Tag.

Für manche klingt das zunächst verblüffend. Zu stark wirken noch die Propagandarufe nach, die jahrelang vor einer Akademikerschwemme gewarnt haben. Der "Dr. Arbeitslos", verdammt zum Taxifahren, machte die Runde an den Stammtischen. Doch leider nicht nur dort. Nicht zu viele Kinder aufs Gymnasium und die Hauptschule stark erhalten - das ist auch heute noch in manchen Diskussionen zu hören.

Andere Länder haben das anders gemacht und sind in den letzten zehn Jahren an Deutschland vorbeigezogen. In Finnland, Schweden und Neuseeland nehmen zwei Drittel der jungen Leute heute ein Studium auf. Und auch in Ungarn und Polen, Länder gegen die manche noch immer gern abfällige Vorurteile pflegen, sind es mehr als die Hälfte. Aber nicht einmal ein Drittel der Jugendlichen in Deutschland studiert, mit abnehmender Tendenz. Erschwerend kommt hinzu, dass von denen nur 16 Prozent zum Abschluss kommen - die meisten noch dazu in den international längsten Studienzeiten.

Die Arbeitsmarktanalysen geben den Ländern mit starker Bildungsexpansion Recht. Ein "Trend zur Höherqualifikation" wird auch hier zu Lande in allen Wirtschaftsbereichen festgestellt. Die betriebliche Lehre garantiert noch immer vielen Jugendlichen einen sicheren Übergang in den Beruf. Aber Ingenieure und Naturwissenschaftler fehlen bereits.

Computer- und Fremdsprachenkenntnisse sind in immer mehr Bereichen nötig. Akademische Bildung und Auslandserfahrung sind für die Jobs der Wachstumsbereiche viel häufiger nötig als für den Arbeitsmarkt der Vergangenheit. Der Fachkräftemangel droht bereits zur Wachstumsbremse zu werden. In der Computerbranche stellt man etwa zur Hälfte beruflich und zur Hälfte akademisch ausgebildetes Personal ein. Das sind ganz andere Proportionen als auf dem traditionellen Arbeitsmarkt.

Da hilft es auch nichts, zu polemisieren, dass ein Studium nicht gleich Studium ist und die Ausbildung in Deutschland sowieso etwas höherwertiges. Es fehlen Studienangebote mit kürzerer Dauer, für diejenigen, die schnell in den Beruf wollen. Für den Gesundheitsbereich wird in Deutschland außer den Ärzten kaum jemand an den Hochschulen ausgebildet. Und trotz steigender Anforderungen werden auch Kindergärtnerinnen nach wie vor größtenteils nicht an Hochschulen ausgebildet. Das ist in anderen Ländern anders.

Die deutsche Bildungspolitik muss umdenken, und mit ihr die Schulen und Hochschulen. Es geht darum, mehr Kinder gut auszubilden. Das heißt, mehr Förderung ist nötig - auf jeder Stufe. Das muss im Kindergarten anfangen und mit einer besser ausgestatteten Grundschule weitergehen. Ausbilden statt aussortieren, muss die Devise auf jeder Stufe heißen. Denn wahrscheinlich sind deutsche Kinder ja nicht dümmer als die aus Neuseeland oder Polen. Die lernen es ja auch. Heute stöhnen etliche Professoren in Deutschland trotz der relativ wenigen Studenten, dass rund ein Drittel der Studenten gar nicht an die Hochschule gehöre. Das war erst kürzlich wieder vom Juristischen Fakultätentag zu hören. Auch das ist im Ausland oft anders.

Das Schreckgespenst Akademikerarbeitslosigkeit hat ebenfalls ausgedient. Die Fakten sind klar: Akademiker sind in den Industriestaaten viel weniger von Arbeitslosigkeit betroffen als andere Gruppen. 9,1 Prozent der 30- bis 44-jährigen Männer und 11,2 Prozent der Frauen sind im OECD-Durchschnitt arbeitslos. Bei den Akademikern sind es aber nur 4,3 Prozent der Männer und drei Prozent der Frauen. Frauen gehören in Deutschland ohnehin zur Bildungsreserve im akademischen Bereich. Besonders in den Naturwissenschaften bildet Deutschland beim Frauenanteil nahezu das Schlusslicht, vor Japan, der Schweiz und der Türkei.

Wenn das Umsteuern in der Bildung aber nicht gelingt, bedeutet das für die Zukunft: Die Handwerker bilden wir selbst aus. Doch hochqualifizierte Akademiker holen wir uns aus dem Ausland. Bei allem Respekt vor dem Handwerk: Wollen wir das so haben?

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