zum Hauptinhalt

Meinung: Blinder Fleck Saddam

Worüber die Friedensaktivisten auch reden sollten

Von Caroline Fetscher

Ob Saddam Husseins Waffenarsenal eine Sache der Vergangenheit ist, wissen wir nicht. Ob es sich um ein Phantomarsenal handelt oder um eine reale Bedrohung, da blickt selbst Chefinspektor Blix kaum noch durch. Während alle Welt über die Massenvernichtungswaffen rätselt, gibt es aber harte Fakten, über die niemand spricht. Sie haben nicht mit der Bedrohung nach außen, sondern mit der Gewalt nach innen zu tun: Im eigenen Land terrorisiert Saddam Husseins Machtapparat die Menschen. 24 Stunden am Tag, seit Jahrzehnten.

Wer gegen den Krieg protestiert, sollte das nicht vergessen. Auch in den kommenden Tagen und Wochen wird man vielerorts Plakate durch die Straßen tragen, auf denen die USA und Großbritannien als arrogante Weltpolizei oder öldurstige Mafia dargestellt werden. Nun gut, Straßenprotest reduziert immer. Kein Slogan kann die ganze komplexe Weltpolitik in eine paar Worten zusammenzurren. Den Boden für den Protest müssen aber auch die Tatsachen bilden, nicht der Empörungsgenuss.

Es sind nicht so sehr – wie oft behauptet wird – die UN-Sanktionen, nicht die Bedrohungen von außen, die dazu führen, dass Männer, Frauen und Kinder im Irak leiden. An erster Stelle ist es die Politik einer Diktatur, die das Land ruiniert hat, den Wohlstand zerstört und die Glücksoptionen der dort Lebenden. Organisationen für Menschenrechte, wie amnesty international und Human Rights Watch wie auch das Harvard University Iraq Research and Documentation Project beobachten das Land seit Jahrzehnten, ebenso das Menschenrechtskomitee der Vereinten Nationen.

Iraker flüchten aus ihrem eigenen Land. Sie werden von der eigenen Regierung wegterrorisiert und klopfen in Nachbarländern oder Westeuropa an die Türen der Asylbewerberheime. Sie sind die zweitgrößte Flüchtlingsgruppe der Welt. Nicht nur die Bilanz der Kriege – Iran und Kuwait – ist verheerend. Etwa 300 000 Iraner verloren ihr Leben, 600 000 wurden verletzt. Im Irak zählt man hunderttausende Fälle von Folter, Hinrichtungen, unfairen Gerichtsverfahren, Vertreibungen von Kurden, Turkmenen, Assyrern, sogenannte „nicht-arabische Bevölkerungsgruppen“. Tausende unliebsamer Menschen gelten als „verschwunden“. Auf Demonstranten darf, ja soll, jederzeit geschossen werden.

Ganze Familien werden in Haft gehalten, Mütter vor den Augen der Kinder gefoltert. Das Vergewaltigen weiblicher Inhaftierter gehört zu den „offiziellen Aufträgen“ der Schergen. In Gefängnissen wie den Bagdader Haftanstalten Abu Ghraib und Majar leben Hunderte unter unmenschlichen Bedingungen, viele in Kellerzellen. Bei Massenhinrichtungen von Häftlingen verloren seit 1989 tausende von Menschen ihr Leben. Nur ein Bespiel unter vielen sind die Dutzenden Frauen, die im Oktober und November 2000, von Saddams Miliz Fedajin enthauptet wurden, wie die Bagdader Ärztin Najat Mohammad Haydar. Man bezichtigte sie der Prostitution. Die Medizinerin hatte ihre Stimme gegen Korruption im Gesundheitswesen erhoben.

Stellen wir uns vor: Wie würde unsere Öffentlichkeit reagieren, bekäme sie diese Szenen zu sehen oder von Augenzeugen erzählt? Doch direkten Zugang zum Land erhalten Menschenrechts-Organisationen seit Jahren nicht mehr. Sie können uns kaum Bilder zeigen. Aber sie erfahren noch genug, die Berichte quellen über von unerträglichen, nicht hinnehmbaren Geschehnissen. Wo Terror-Regime auf die „Souveränität“ ihres Staates beharren, bedeutet das vor allem, dass sie ihre Praxis der Unterdrückung fortsetzen wollen. Bagdad braucht nicht nur Waffeninspektoren. Bagdad braucht auch Inspektoren für Menschenrechte. Zwar will amnesty international explizit nicht, dass seine Reports von Kriegsbefürwortern instrumentalisiert werden. Grund genug, einen Regimewechsel zu fordern, ergeben die Berichte allemal. Und Grund genug, im Protest gegen den Krieg mehr politische Vision und Verantwortung zu zeigen: die Forderung nach einem Regimewechsel, nach intelligenteren Sanktionen und ungehindertem Zugang für Menschenrechtsorganisationen.

Satellitenfernsehen ist im Irak verboten. Es soll nur ins Land dringen, was das Regime will. Demonstrationen werden gerne gezeigt. Wer im Irakischen Fernsehen die Leute der freien Welt auf den Straßen protestieren sieht, sollte klare Zeichen erkennen, dass da keine Regime-Freunde marschieren. Dass es da draußen Ungeduld gibt. Dass auch die Friedensfraktion nicht länger schweigt über das, was im Irak passiert.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false