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Meinung: Bombe als Ballast

Nordkorea ist am Ende und will sich öffnen – ganz Ostasien gerät dabei in Aufruhr

Es gibt wenige Verbrechen, die man Kim Jong-Il nicht zutrauen würde. Der selbst ernannte „Liebe Führer“ Nordkoreas soll in den achtziger Jahren persönlich terroristische Bombenanschläge im Ausland befohlen haben. Jüngst erklärte Pjöngjang offiziell, dass man in den 70er Jahren japanische Bürger nach Nordkorea entführt habe. Als das Regime in Pjöngjang auch noch die Existenz eines Atomwaffenprogramms zugab, schienen die dunkelsten Vorahnungen bewahrheitet. Gestern nun bot Kim Jong-Il an, das Nuklearprogramm aufzugeben, wenn die USA einen Nichtangriffspakt mit Nordkorea unterzeichnen. Das klingt zunächst nach Erpressung.

Vor allem Ostasien, dessen Sicherheitslage von Nordkorea abhängig ist, reagierte auf das Eingeständnis mit einer Welle der Entrüstung. Eine Atombombe in Kim Jong-Ils Händen würde die Sicherheit der Menschen von Japan über China bis nach Thailand gefährden. Die Reaktionen waren deutlich: Tokio legte die Verhandlungen zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Pjöngjang auf Eis und droht damit, den Bau zweier atomarer Stromreaktoren in Nordkorea zu stoppen. Südkorea machte die Enthüllung zum Hauptthema der Entspannungsgespräche mit dem Norden und verlangte unverzüglich Gespräche über das Nuklearprogramm. Selbst China, seit dem Koreakrieg der engste Verbündete Nordkoreas, sah sich zur Ermahnung genötigt: Peking dulde keine Atomwaffen auf der koreanischen Halbinsel.

Dabei können die Enthüllungen nicht so überrascht haben. Südkoreanische und amerikanische Geheimdienste verfügen über Indizien, dass Wissenschaftler an der Entwicklung nuklearer Sprengkörper arbeiten. Das nordkoreanische Raketenprogramm, das während des Kalten Krieges mit der Unterstützung der Sowjetunion und Chinas entstand, ist gut dokumentiert. Die meisten Experten halten es aber für unwahrscheinlich, dass Pjöngjang über einsatzfähige Atomwaffen verfügt oder sie bald entwickeln könnte.

Überraschend ist also nicht der Inhalt der Enthüllung, sondern der Akt an sich. Warum hat Pjöngjang die Existenz des Programms zugegeben, noch dazu gegenüber dem Erzfeind USA? Die Handlung eines unberechenbaren Terrorregimes? Nordkoreas Führung wird im Westen oft als irrational beschrieben. Tatsache ist, dass Kim Jong-Il in der Regel sehr wohl die Konsequenzen seines Handelns abschätzt. Er wusste, dass die Enthüllung gravierende Folgen haben würde.

Washingtons Erklärung lautet, dass US-Diplomaten ihre nordkoreanischen Gegenüber mit stichhaltigen Beweisen konfrontiert hätten. Solche Beweise, etwa Satellitenfotos von vermuteten Atomfabriken, mögen dazu beigetragen haben. Sie allein erklären jedoch noch nicht Nordkoreas Haltung. Pjöngjang ist bekannt dafür, dass es bei Bedarf leugnet.

Diesmal hat Nordkorea die unangenehme Wahrheit gesagt, und sich darüber hinaus offiziell für die Entführung der Japaner entschuldigt. Für ein so statusbewusstes Regime ist dies ein erstaunlicher Schritt. Dahinter steckt mehr als nur der Wunsch, wirtschaftliche Hilfe von Japan zu bekommen – nämlich der, einen Schlussstrich unter die staatlichen Verbrechen der Vergangenheit zu ziehen. Ein Signal für außenpolitischen Neuanfang.

In der Nuklearfrage waren die Motive ähnliche. Kim Jong-Il und seine Generäle stehen mit dem Rücken zur Wand. Die Bevölkerung wird nur noch mit Lebensmittelspenden aus dem Ausland ernährt. Alle Versuche, die sozialistische Planwirtschaft wiederzubeleben, sind gescheitert. Kim Jong-Il wollte Ballast abwerfen, den Weg für neue Verhandlungen mit dem Westen ebnen. So ist der Vorschlag für einen Nichtangriffspakt keine Erpressung, sondern in Wirklichkeit der Hilfeschrei eines gescheiterten Regimes. Bei aller berechtigten Empörung: Die USA und die internationale Gemeinschaft sollten Pjöngjangs Angebot zu Gesprächen jetzt nicht ausschlagen.

Harald Maass

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