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Die olympische Bobbahn von 1984 auf dem Trebevic-Berg in der Nähe von Sarajevo.

© dpa

Bosnien: Eine unfertige Nation

Die Bosnier wollen den gut bezahlten Saboteuren ihrer Gegenwart und Zukunft nicht länger zusehen. Ihr Widerstand zeigt: Das Modell der gespaltenen Föderation ist gescheitert

Von Caroline Fetscher

Auf der rauchgeschwärzten Fassade des Präsidialamtes in Tuzla hat jemand das Motto des Aufstands gesprüht: „Stop Nacionalizmu!“ Gegen die als „nationalistisch“ verkauften Egoismen ihrer Politikerkaste ziehen sie auf die Straßen, die wütenden Bürger in Bosnien und Herzegowina. Von einem „Bosnischen Frühling“ zu sprechen, würde man zunächst nicht wagen. Zu erschreckend erinnern viele der Bilder an die Brände und Zerstörungen der jugoslawischen Zerfallskriege der 1990er Jahre, als Titos Vielvölkerstaat am serbischen Suprematieanspruch zerbrach. Auch Akte des Vandalismus, etwa gegen das Staatsarchiv in Sarajevo, wecken schlimmste Erinnerungen.

Aber es sind andere Flammen jetzt, andere Emotionen, andere Parolen. „Diebe raus!“ lautet eine von ihnen, „Schluss mit dem nationalistischen Raubzug gegen die Bevölkerung“ eine andere. Auch: „Vereintes Bosnien und Herzegowina!“ Verlangt wird „eine politische Revolution“. Der Aufschrei ist so laut, wie er fällig war.

Der Zorn der Arbeitslosen und Unterbezahlten, der Männer und Frauen des Nachkriegslandes richtet sich gegen nichts mehr und nichts weniger, als den unhaltbaren Ist-Zustand ihres Landes. Diesen Zustand durfte eine korrupte Politikerkaste unter internationaler Aufsicht über zwei Jahrzehnte lang herstellen, Schritt für Schritt, Euro um Euro. Milliarden an Aufbaugeldern wurden nach dem Krieg in ein Land gepumpt, um Infrastruktur, Behörden, Schulen, Legislative, Exekutive wiederherzustellen. Nation Building hieß der Prozess, die Zangengeburt einer Nation, die noch nicht bereit war, eine zu sein. Ihr Geburtsfehler liegt im Friedensabkommen von Dayton, als der Diplomat Richard Holbrooke ethnisch verbrämten Ansprüchen gieriger Eliten nachgab – naiv nachgab, wie er später selber einräumte.

Entstanden war mit Dayton die unhaltbare Föderation aus einer „ethnisch“ nahezu „gesäuberten“ Serbenrepublik sowie einem bosnisch-kroatischen Landesteil. Im aufgeblähten Verwaltungsapparat gibt es Posten für 150 Minister und 14 Regierungschefs, Millionen an Hilfsgeldern strudelten in schwarze Löcher aus Korruption und Vetternwirtschaft. Parteien bedienen jeweils ihre ethnische Klientel, Serben, Kroaten oder bosniakische Muslime. Manche Schulen, mit EU-Geldern gebaut, unterrichten am Vormittag katholische Kroaten, am Nachmittag muslimische Bosniaken. „Zwei Schulen unter einem Dach“ nennen die Betreiber das irrwitzige Konzept.

Politisches Denken wurde ersetzt durch einen Cocktail aus nationalistischem Stammtischgerede und ungebremster Kleptokratie. Über allem thront obendrein noch immer die teure internationale Bürokratie mit ihrem Hohen Repräsentanten, zur Zeit ist dies der österreichische Diplomat Valentin Inzko, der Verständnis für den „aufgestauten Unmut“ erklärt hat. Zur Not könnte Inzko die Schutztruppe Eufor in die Straßen der Aufständischen schicken. Ändern würde das freilich nichts.

Solange die gut geölte Kette aus Bestechungen, Unterschlagungen und Postengeschacher läuft, wird der Unmut explosiv bleiben. Dass jetzt endlich Serben, Kroaten und Bosniaken gemeinsam auf die Straßen gehen und gemeinsam Forderungen stellen, ist die beste Nachricht in Aufruhr und Unruhe. Grundlegend reformiert werden müssten Verfassung und politisches System. Dies zu leisten oder auch nur korrupte Politiker mit der Vetobefugnis des Hohen Repräsentanten in die Schranken zu weisen, hat sich in den vergangenen Jahren kaum je ein Amtsträger getraut.

Deutlich wird: Das Modell der gespaltenen Föderation als ein staatsähnliches Gebilde konkurrierender Nationalismen ist gescheitert. Was Experten vergeblich gesagt hatten, hört die Politik jetzt, vor Ort wie in Brüssel und Washington, von Bosniens Bürgerinnen und Bürgern, die zu sich kommen, Menschen, die den gut bezahlten Saboteuren ihrer Gegenwart und Zukunft nicht länger zusehen wollen. Zu viel Optimismus scheint gleichwohl noch nicht am Platz. Den Protesten fehle, erklärt der Tübinger Professor für Südosteuropastudien und Bosnienexperte Carl Bethke, ein klarer, politischer Impetus. Einig ist man sich im Mut zum Ausdrücken des Unmuts. Hohe politische Kunst wird es sein, sich einig zu werden über konkrete, reale Reformen, bei denen es notgedrungen Verlierer geben wird. Je beherzter die internationale Verwaltung am Prozess der Reform mitwirkt, desto eher könnte er gelingen. Verantwortung müssen auch die Inhaber der lukrativen Verwaltungsjobs übernehmen. Das schulden sie sich selber – und wir, als Europäer, schulden es den Bosniern.

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