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Meinung: Breslau-Berlin und zurück

Wo soll das Zentrum gegen Vertreibung entstehen – und brauchen wir es überhaupt?

Von Hermann Rudolph

Der Kanzler zögert und plädiert für große Sensibilität. Soll das „Zentrum gegen Vertreibung“, das Erika Steinbach, die Präsidenten des Bundes der Vertriebenen, und der SPD-Politiker Glotz errichten wollen, in Berlin oder in Breslau stehen? Gerhard Schröder will sich nicht festlegen. Die Debatte bleibt also in der Schwebe, in der sie verharrt, seitdem der Vorschlag, die polnische, ehemals deutsche Stadt zum Sitz des Zentrums zu machen, ihr eine spektakuläre Wendung gab. Bis dahin war an ihr vor allem bemerkenswert gewesen, dass die Vertriebenen-Initiative, die früher wohl als ein Beispiel von Verbands-Lobbyismus abgetan worden wäre, eine breitere Resonanz gefunden hatte. Nun wuchs ihr eine überraschende europäische, deutsch-polnische Dimension zu.

Die Breslau-Alternative, initiiert von polnischen Intellektuellen, auf der deutschen Seite aufgegriffen vom SPD-Bundestags-Abgeordneten Meckel, hat der Diskussion überdies eine aufregende Perspektive eröffnet. Sie wäre ja der Versuch, das Thema an einem Ort zu präsentieren, der in tragisch-traumatischer Weise durch Vertreibung geprägt ist: durch die der Deutschen, aber auch der Polen, die hierher aus ihren ehemaligen Ostgebieten vertrieben wurden. Berlin dagegen – so argumentieren die Breslau-Befürworter – birgt die Gefahr einer Verengung auf die deutsche Sichtweise. Da aber das Zentrum seine Rechtfertigung nicht zuletzt daraus ziehen soll, dass es Vertreibung als ein weltweites Schicksal vorstellen und anprangern will, würde Breslau der geeignetere Platz sein.

Kein Zweifel, die Debatte hat ihr taktisch-polemisches Unterfutter. Manche plädieren auch deshalb für Breslau, weil sie befürchten, dass das Zentrum in Berlin am Ende doch nur zu einer Veranstaltung der Vertriebenen-Verbände würde, sozusagen zum Mahnmal für die Vertreibung der Deutschen, analog – oder gar als Gegengewicht – zum Holocaust-Mahnmal. Andererseits: Kann man sich die Beschäftigung der Deutschen mit der Vertreibung, die man wünschen muss und die ein Kernthema des Zentrums bliebe, wirklich im polnischen Breslau vorstellen? Und die erhoffte „Europäisierung“ – nähme sie sich nicht aus wie eine Auslagerung dieses Themas, zum Zwecke seiner Relativierung in einem internationalen Kontext?

So glatt geht die Alternative Breslau versus Berlin, „europäische Lösung“ gegen „nationale Lösung“, also nicht auf. Ganz abgesehen davon, dass Berlin einfach die größere Attraktivität hat: Wäre das zur polnischen Mittelstadt gewordene Breslau wirklich so geeignet für die Öffnung des Themas zu den anderen Vertreibungen, die das Zentrum in den Blick rücken soll, in Europa, aber auch in Afrika und Asien? Und drohte nicht die Gefahr, dass das Thema durch das deutsch-polnische Verhältnis mit seinem ganz eigenen historischen Gewicht okkupiert wird? Es gibt Beobachter, die deshalb die Gefahr einer „nationalen“ Sichtweise eher in Breslau als in Berlin wittern.

Die Zurückhaltung des Kanzlers ist also gut nachvollziehbar. Überhaupt ist zu fragen, ob die Debatte um den Standort dem Thema gut tut. Die Antwort darauf kann nur lauten: Sie ist von Schaden, wenn sie verdeckt, dass die Diskussion über den Sinn und Zweck des Zentrums noch ziemlich in den Anfängen steckt. Man kann auch sagen: in den Anfängen stecken geblieben ist. Sie ist von Nutzen, wenn sie als Vehikel dafür dient, diese Diskussion voranzutreiben. Und bei der Erörterung, wozu wir das Zentrum brauchen, darf selbst die Frage nicht tabu bleiben, ob wir es brauchen.

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