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Meinung: Bridget Jones soll nein sagen

Die Wahlen wird Blair gewinnen – doch was ist mit dem Referendum? Von Matthew Tempest

Wenige Wochen vor den Parlamentswahlen in Großbritannien muss die politische Klasse des Landes schon etwas in die Zukunft blicken, um nicht in Langweile zu verfallen: ins Frühjahr 2006 und auf das britische Referendum über die EUVerfassung. Denn ohne ein politisches Erdbeben werden Tony Blair und seine Labour Party einen klaren Wahlsieg, den dritten in Folge, feiern. Mit dem Referendum jedoch, dem ersten echten Test von Blairs Beteuerung, „Großbritannien ins Herz von Europa zu bringen“, ist es etwas anderes: Hier steht der Regierung eine zunehmend eurofeindliche Öffentlichkeit gegenüber. Selbst die Optimisten räumen ein, dass die „No“-Kampagne vorne liegt – die Frage ist nur wie weit. Im Regierungslager setzt man auf die noch Unentschiedenen, die auf etwa 30 Prozent geschätzt werden.

Die meisten in Blairs Kabinett waren überrascht, als er im vergangenen Mai eine spektakuläre Kehrtwende vollzog und sich der Forderung nach einem Referendum beugte. Weniger überraschend war die Tatsache, dass der erste Hinweis darauf in der „Sun“ erschien, der scharf antieuropäischen Boulevardzeitung. Auf dem Zeitungsmarkt ist die Mehrheit auf Seiten der Eurogegner: der „Sun“ (Auflage: 3,1 Millionen), „Daily Telegraph“ (850 000), „Daily Mail“ (2,2 Millionen) und „Daily Express“ (830 000) stehen nur die proeuropäischen „Mirror“ (1,7 Millionen), „Guardian“ (330 000) und „Independent“ (200 000) gegenüber. Die „No“-Kampagne ist zudem ausgesprochen raffiniert. Gezielt richtet sie sich auf die jungen, weiblichen Unentschlossenen: Vor „Bridget Jones“ wurde zum Beispiel ein Werbefilm in den Kinos geschaltet, in dem ein gut aussehender junger Mann in einem schicken Loft saß und behauptet, er sei für Europa – aber gegen die Verfassung. Um die Frage, was mit Großbritannien nach einem Nein geschehen sollte, drückten sich die Gegner dabei jedoch herum.

Nach der Spaltung der fanatisch europafeindlichen United Kingdom Independence Party (Ukip) wird der Anti-Europa-Mainstream nun zu den traditionell europaskeptischen Tories zurückkehren. Damit ist der Regierung ihr bestes Argument abhanden gegangen: Anders als bei Ukip wird es ihr schwer fallen, die Konservativen, die gegen Verfassung und Euro sind – aber nicht gegen eine EU-Mitgliedschaft –, als verrückte Anti-Europäer darzustellen.

Was Blair helfen wird, ist die Tatsache, dass Großbritannien in der zweiten Hälfte von 2005 den Vorsitz der EU-Präsidentschaft innehat. Und die positive Auswirkung, die – nach dem Ja Spaniens am vergangenen Sonntag – möglicherweise auch von den übrigen Referenden in Europa ausgeht.

Die größte Chance, die Briten zu überzeugen, sagen einige, hätte aber Gordon Brown – der Schatzkanzler, der für Großbritanniens „Wirtschaftswunder“ verantwortlich gemacht wird. Er gilt als skeptisch, was die Einführung des Euro betrifft, sein „Ja“ zur Verfassung besäße eine größere Glaubwürdigkeit. Ein „Premierminister-Brown-Szenario“ hängt jedoch vom Ausgang der Parlamentswahlen ab. Eine Labourmehrheit von nur 50 Abgeordneten würde vermutlich zur einer Machtübergabe eines entmutigten Blair an Brown führen. Brown könnte dann entweder das Referendum wieder absagen, was politisch ein großes Risiko wäre. Er müsste sich entscheiden, wie wichtig ihm ein Referendum ist. Eine Mehrheit von mindestens 100 Abgeordneten und Blair bleibt vermutlich Premier.

So oder so, das Referendum bleibt Gordon Browns Ass: Blair braucht dafür die unzweideutige Unterstützung seines Schatzkanzlers – sonst droht die „Yes-Kampagne“ zu scheitern, bevor sie überhaupt begonnen hat. Es ist also damit zu rechnen, dass nach den Parlamentswahlen die wahre Auseinandersetzung erst beginnt – und dass das EU-Referendum zu einem Pfand in dem zehn Jahre alten Konkurrenzkampf zwischen Blair und Brown wird.

Der Autor ist politischer Korrespondent von Guardian Unlimited.

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