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Meinung: Da helfen keine Pillen

Ärzte und Patienten überfordern das Gesundheitswesen, ohne es zu wollen

Haben Ärzte bei ihrer täglichen Arbeit nur noch den Günther Jauch im Kopf: Wie werde ich Millionär? Trachtet der durchschnittliche Deutsche, der bei AOK, Barmer und Co. gesetzlich krankenversichert ist, aus lauter Bosheit allein darauf, seine Krankenkasse möglichst abzuzocken? Quatsch. Im Grunde wollen alle nur das Beste. Oder fast alle. Es wird Zeit, mit ein paar Missverständnissen aufzuräumen.

Viele Mediziner haben ihren Beruf ergriffen, weil sie Menschen heilen wollen. Junge Frauen und Männer beginnen heute ein Medizinstudium, obwohl sie nach ihrer Ausbildung unbezahlte Nachtdienste und Überstunden im Krankenhaus schieben müssen. Geldgier kann man ihnen wahrlich nicht vorwerfen. Dennoch: Das Image des Berufsstandes ist ramponiert. Wenn wir ehrlich sind, kennen wir das aus dem Freundeskreis. Auf die Zahnärztin, der wir seit dem Ausfall der ersten Milchzähne die Treue halten, lassen wir nichts kommen. Aber über Ärzte im allgemeinen schimpfen wir. Es gibt auch korrupte Ärzte, die ohne Gewissensbisse Toten Rechnungen schicken. Aber schwarze Schafe gibt es in jedem Beruf.

Vorsätzlich will auch kaum ein Patient das Gesundheitswesen ausnutzen. Im Normalfall gibt unser Nachbar nicht damit an, dass er seine Krankenkasse übers Ohr gehauen hat. Aber genau das unterstellen wir dem älteren Herrn von nebenan: Dass er sich mal wieder böswillig auf Kosten der Versichertengemeinschaft ein paar überteuerte Pillen und Röntgenaufnahmen gegönnt hat.

Die wenigsten Menschen wollen das Gesundheitswesen ausnutzen, ausplündern, auffressen. Wie kommt es dann, dass die gesetzliche Krankenversicherung an die Grenzen der Finanzierbarkeit gerät? Dass Ärzte Untersuchungen doppelt und dreifach machen? Dass sie immer öfter zum Rezeptblock greifen und deshalb die Arzneimittelausgaben ungebremst steigen?

Irgendwo im verworrenen Gesundheitsdschungel verlieren die Menschen ihr eigentliches Ziel aus dem Blick. Warum das so ist, verdeutlichen die Zahlen. Im Schnitt versorgen in Deutschland 3,6 Ärzte 1000 Bewohner, in Ballungsgebieten sind es noch mehr – ein Spitzenwert in Europa. Aber: Es steht nur ein begrenztes Budget zur Verfügung, finanziert aus den Beiträgen der Versicherten und Arbeitgeber. Um auf ihre Kosten zu kommen, besteht seit Jahren für die vielen Ärzte der Anreiz, viel zu behandeln und zu verschreiben. Beim Patienten entsteht umgekehrt der Reflex: Viel Medizin ist gute Medizin. Ein Arzt taugt nichts, wenn er keine Tropfen und Pülverchen verschreibt.

Am Verhalten von Ärzten und Patienten spiegelt sich das Grundproblem unseres Sozialstaats. Er hat eine natürliche Tendenz zur Ausdehnung. Wo ist der Ausweg aus dieser Falle? Mehr Geld ins System zu schaufeln, hilft nicht. Es gibt zwei wirksame Mechanismen: Entweder der Staat muss rationieren. Etwa Facharztpraxen ins Aus drängen, indem er den Menschen den Hausarztbesuch mehr oder weniger vorschreibt. Diesen Weg will Gesundheitsministerin Ulla Schmidt gehen. Die Akzeptanz der Beteiligten, die mitwirken sollen, ist so allerdings kaum zu gewinnen.

Oder das System muss sich für mehr Wettbewerb öffnen. Wenn Ärzte mit Krankenkassen Verträge abschließen können, die sparsames Verschreiben belohnen, ändern sie ihr Verhalten. Wenn sie mit kurzen Wartezeiten oder modernen Behandlungsmethoden werben können, auch. Diesen Weg schlägt Ulla Schmidt ebenfalls ein. Leider nur halbherzig. Die Ministerin wählt eine merkwürdige Mischung aus Liberalisierung und mehr Regulierung. Sie sollte konsequenter auf den Markt setzen. Auch für Ulla Schmidt wäre das von Vorteil: Wenn in Zukunft der Wettbewerb und nicht die Ministerin die Zahl der Ärzte stärker regulieren würde, könnten deren Vertreter ihr nicht mehr den schwarzen Peter zuschieben.

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