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Meinung: Das ist unser Gesetz

Die Vermittlung von Recht gehört in die Lehrpläne der Schulen Von Ulrich Schellenberg

Es vergeht kaum ein Tag, am dem nicht aus aktuellem Anlass über Gewalt unter Jugendlichen berichtet wird. Das Augenmerk richtet sich auf viele Disziplinen: Pädagogen, Jugend- und Sozialarbeiter, aber auch Psychologen und Psychiater sind gefragt! Auch nach der Justiz wird gerufen: Härtere Strafen, Abschrecken oder Wegschließen – das sind die Forderungen, die an die Justiz gestellt werden. Verweist die Justiz darauf, dass das Jugendstrafrecht anderen Maßstäben folgt als das Erwachsenenstrafrecht, wird dies mit dem Ruf nach Verschärfung der Gesetze quittiert. Die Aufgabe der Justiz wird von vielen allein repressiv verstanden und von straffälligen Jugendlichen auch alltäglich genauso erlebt.

Aber Recht hat viel mehr zu bieten. Recht bildet die Grundlage unserer Gemeinschaft. Recht gibt die Regeln unseres Zusammenlebens vor. Recht ist das Spiegelbild unserer Werte. Sprechen wir vom Werteverlust unserer Gesellschaft, dann sprechen wir im Kern vom Verlust des Rechtsbewusstseins und damit vom Verlust des Verständnisses elementarer Grundlagen unseres Daseins.

Recht begegnet jedem von uns heute auf Schritt und Tritt. Es gibt keinen Bereich unserer Gesellschaft, der nicht immer weiter bis in die kleinsten Einzelheiten hinein geregelt wird. In Abwandlung eines bekannten Sprichwortes kann man feststellen, dass wir in der Gefahr stehen, vor lauter Gesetzen und Verordnungen das Recht nicht mehr sehen zu können. Ich meine das Recht auf freie Entfaltung der Person, das Recht auf Eigentum, das Recht auf körperliche Unversehrtheit, kurz: Die verfassungsrechtlich gesicherten und jedem Menschen gewährleisteten persönlichen Rechte.

Aber wo werden diese Werte vermittelt? Wer erklärt den Wesensgehalt unserer Gesellschaftsordnung? In den Lehrplänen unserer Schulen findet sich darauf kein Hinweis. Gerade dies ist aber der Ort an dem eine Gesellschaft das ihr wichtige Grundwissen vermittelt und dafür Sorge trägt, dass das Verständnis für die Grundregeln einer funktionierenden Gemeinschaft geweckt werden kann. Dieser Verantwortung hat sich die Schulpolitik schon viel zu lange entzogen. Die Schulen können sich nicht länger damit begnügen, lediglich den funktionalen Aufbau unseres Staates und seiner Organe zu erläutern, ohne die unser Gemeinwesen tragenden Rechtsprinzipien zu erläutern und verständlich zu machen. Gerade in unserer pluralistischen Gesellschaft mit ihren divergierenden Lagern, die für höchst gegensätzliche Normen stehen, muss es einen gemeinsamen Wertekonsens geben. Je stärker in unserer säkularisierten Welt die Bindungswirkung der religiösen Grundnormen zurücktritt, umso stärker muss deren Umsetzung im kodifizierten Recht in das Bewusstsein gehoben werden. Es mag zynisch klingen, aber im Kern wird man nicht widersprechen können: Es wäre schon viel gewonnen, wenn auf den Berliner Schulhöfen die wesentlichen Grundregeln der Genfer Konvention bekannt wären:

– Es ist verboten, einen Gegner zu töten oder zu verletzen, der sich ergibt oder sich außer Gefecht befindet.

– Verwundete und Kranke werden geborgen und sind zu pflegen.

– Niemand darf psychischer und physischer Folter, körperlicher Strafen oder grausamer erniedrigender Behandlung unterworfen oder gequält werden.

Die Kenntnisse über Inhalt, aber auch Entwicklung und Geschichte des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte gehören nicht nur für Jugendliche, sondern für weite Teile unserer Gesellschaft nicht zum gesicherten Allgemeinwissen. Umso wichtiger ist es, Recht in einfacher Form in die Erziehung zu integrieren und das Bewusstsein für Recht zu entwickeln.

Aber wo, wenn nicht in den Schulen kann das geschehen. Die Vermittlung, was Recht und was Unrecht ist, muss in die Lehrpläne der Berliner Schulen. Darüber müssen wir reden, Herr Böger.

Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins.

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