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Meinung: Das Leben nach Bush

In den USA beginnt die Debatte über eine neue Außenpolitik Von Amitai Etzioni

Die bevorstehenden Kongresswahlen und die ersten Positionskämpfe vor den Präsidentschaftswahlen 2008 haben in Amerika eine ernsthafte Debatte über die Richtung der Außenpolitik nach Bush ausgelöst. Sie begann mit dem öffentlichen Streit zwischen dem Vordenker Francis Fukuyama und seinen neokonservativen Kumpels, der an die alten Kämpfe zwischen Stalinisten und Trotzkisten erinnerte.

In einem Essay für das „New York Times Magazine“ mit dem Titel „After Neoconservatism“ hatte Fukuyama die weltweiten Misserfolge von Bushs Außenpolitik aufgelistet. Das Wichtigste daran war, dass er die Verantwortlichen für US-Außenpolitik aufforderte, eine Kernlektion der Soziologie zu beachten: Geschichte kann man nicht beschleunigen, auch wenn man hier und da vielleicht ein wenig nachhelfen kann. Merkwürdigerweise hatten gerade die Schriften von Fukuyama eine Quelle für das „Wir-demokratisieren-jetzt-mal-eben-den-Rest-der Welt-Leitmotiv“ der Neocons und der Bush-Regierung dargestellt. Die Erfahrung der vergangenen Jahre – nicht nur in Irak und Afghanistan, sondern auch in Russland, Lateinamerika, Haiti und Bosnien – zeigt jedoch, dass der große Demokratisierungsschub ausgeblieben ist, and dass daran auch eine Supermacht nicht viel ändern kann. Fukuyama kommt zum Ergebnis, dass das „Verlangen nach Demokratie und Reform aus den Ländern selbst kommen muss“. Er erwartet jedoch, dass schließlich alle Nationen zu liberalen Demokratien werden. Das ist das Ziel, das die USA unterstützen sollten, jedoch nur durch friedliche Mittel.

Aus meiner soziologischen Sicht ist eine viel grundlegendere Veränderung der US-Außenpolitik vonnöten. Anstatt zu versuchen, sich mit den Liberalen in der muslimischen Welt zu verbinden (die USA haben gerade 85 Millionen Dollar für die Verbreitung der Demokratie in Iran zur Verfügung gestellt), sollte die Regierung erkennen, dass die Mehrheit der Muslime moderat, aber nicht liberal ist. Sie sind gegen Meinungsfreiheit oder die Rechte der Frauen, akzeptieren aber, dass andere Länder andere Religionen haben, und, vor allem, sie lehnen Gewalt ab – als Invasion anderer Länder oder als Terror.

Umfragen belegen, dass von den 140 Millionen Muslimen in Indonesien, den 70 Millionen in der Türkei und den 32 Millionen in Marokko weniger als 15 Prozent Selbstmordattentate unterstützen. Es gibt viele Hinweise, dass auch unter den Muslimen in Indien, Malaisia und Bangladesch die Unterstützung für den Terror gering ist. 84 Prozent der Palästinenser sind für eine friedliche Lösung des Konflikts mit Israel. (Viele der Hamas-Wähler haben wegen deren Integrität und sozialen Diensten so gestimmt.)

Langfristig ist es entscheidend zu verstehen, dass der Endpunkt der Geschichte möglicherweise eine Herrschaftsform ist, die liberale Elemente kombiniert mit einer stärkeren Verpflichtung für die Allgemeinheit und einem größeren Bewusstsein für die spirituellen, religiösen und kulturellen Bedürfnisse als es das Modell tut, das Fukuyama und die USA befürworten.

Obwohl es stimmt, dass Länder wie China „es schaffen wollen“, sich gerade in einem Konsumrausch befinden, halte ich das für eine Kinderkrankheit, aus der Nationen herauswachsen. Die Europäer haben vorgemacht, dass man mit einer sozialen Marktwirtschaft und einem kulturellen Bewusstsein ökonomisch erfolgreich sein kann. Auch die USA durchlaufen in regelmäßigen Abständen Phasen, in denen das „soziale Kapital“, die Verpflichtung für die Gesellschaft und moralische Werte stärker im Vordergrund stehen – und nicht nur Rechte und Freiheiten und das Materielle. Das Ende der Geschichte liegt womöglich irgendwo zwischen einer liberalen und einer übertrieben kommunitaristischen Gesellschaft.

All das ist jedoch ohne Bedeutung, solange Bush noch an der Macht ist, und das, was man die Ära der Restauration nennen könnte, noch nicht eingesetzt hat, in der die Glaubwürdigkeit, der gute Name, die politischen Allianzen, und die finanzielle Solidität der USA wiederhergestellt werden.

Der Autor lehrt an der George Washington University und ist Mitbegründer des Kommunitarismus.

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