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Meinung: Das Prinzip Hartz

Mehr Intelligenz, weniger Konsens – wie der Verbändestaat ausgehebelt werden kann

Von Ursula Weidenfeld

Es ist ausgerechnet der Verbändestaat, der sich für die Arbeitsmarktreformen des Volkswagen-Managers Peter Hartz begeistert. Nicht nur wegen der Reformen: Die Verbände staunen vor allem darüber, wie das Konzept zu Stande gekommen ist. So konstruktiv, so innovativ und so einvernehmlich habe man – bei allem Streit in der Sache – nie zuvor zusammengesessen. Man habe entdeckt, dass man tatsächlich miteinander reden könne, berichten die Arbeitgeber- und Gewerkschaftsvertreter, die Experten und Berater ihren ungläubigen Artgenossen.

Und nicht nur reden: Auch handeln könne man gemeinsam. Schon fordert Gewerkschaftschef Michael Sommer eine Hartz-Kommission für das Gesundheitswesen, schon finden sich immer mehr Reformvermisser, die in kleiner Runde gerne einmal fallen lassen, dass sie ja ähnlich managementerfahren seien wie Peter Hartz.

Dabei ist das System Hartz alles andere als ein Kompliment an die Ministerialbürokratie und den deutschen Verbändestaat. Im Gegenteil: Deutlicher als in dem halben Jahr, in dem Peter Hartz und seine Kommission berieten, ist selten geworden, warum das Bündnis für Arbeit scheitern musste und woran in Deutschland selbst die kleinsten Reformansätze üblicherweise ersticken. Bedenkenträger aus den Ministerien erschlagen sie mit Verwaltungsanweisungen. Arbeitnehmervertreter verhindern sie, weil allein die Vokabel Reform Reflexe auslöst, die sie nicht steuern können. Das Arbeitgeberlager dagegen fordert jedes Konzept tot, weil es immer noch einen draufsetzen muss. Am Ende steht das von allen erwünschte Ergebnis: Es passiert nichts, die alten Rollenmuster bleiben intakt. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Arbeitgeber und Unternehmer, die am lautesten nach Veränderung schreien, sie tatsächlich vorbehaltlos wollen. Denn: Was wären diese Verbände, ihre Vertreter und ihre Kongresse wert, wenn ihnen das Thema abhanden käme?

Peter Hartz hat den Verbändestaat umgangen, er hat die Ministerien ausgetrickst und die Behörden gemieden. Das System Hartz war nicht erfolgreich, weil es den ausgewiesenen Sachverstand der ausgewiesenen Experten genutzt hat. Es war erfolgreich, weil es auf ihn verzichtet hat. Das ist nicht demokratisch und es ist nicht politisch korrekt. Ein solches System folgt keinem Proporz.

Hartz hat nicht die mächtigsten Vertreter der Verbände in seine Kommission gebeten, nicht einmal die sachkundigsten. Er hat nur die gewählt, von denen er annehmen durfte, dass sie Urteilsvermögen haben. Und die, von denen er vermutete, dass sie sich den Spaß an Diskussionen, an Ideen und an Spinnereien bewahrt haben. Peter Hartz hat gezeigt, dass sich auch die Reformdiskussion in Deutschland entideologisieren lässt. Die Hartz-Kommission hat bewiesen, dass Reformen nicht nur eine Frage von Macht und Gegenmacht sein müssen. Sie sind eine Frage von Intelligenz, von intellektueller und emotionaler Kompetenz.

Wer immer nur die fragt, die schon tausend Mal Nein gesagt haben, wird kein Ja mehr bekommen können. Wer aber die fragt, die noch keine Chance hatten, Nein zu sagen, wird zumindest bewirken, dass nachgedacht wird, bevor es zu einem Urteil kommt. Im Idealfall stimmen die Teilnehmer sogar Schritten zu, von denen sie nicht überzeugt sind: wenn ihnen versichert wird, dass keine ehernen Besitzstände geschaffen werden, sondern dass es um Versuche geht. Versuche, bei denen sie sicher sein können, dass sie beendet oder abgestellt werden, wenn sich zeigt, dass sie nicht funktionieren.

Wäre es vernünftig, auch für die Gesundheit oder für die Rente Hartz-Kommissionen zu finden? Im Prinzip ja – wenn auch das politische Deutschland bewiesen hat, dass es mit solchen Empfehlungen umgehen kann.

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